Süddeutsche Zeitung

Unterfranken:Wurstrekord

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Ein Dorfmetzger trotzt mit Kreativität dem Niedergang

Von C. Gißibl, F. Mersi/dpa, Sailauf

Spaghetti-Bratwurst, Gin-Tonic-Bratwurst, Glühwein-Bratwurst, Wildblüten-Honig-Bratwurst, Cranberry-Speck-Bratwurst, Trüffel-Bratwurst - die Theke der Landmetzgerei Freund ist gefüllt mit Dutzenden Wurst-Variationen. "Wir haben ständig Hundert selbstproduzierte Wurstsorten vorrätig", sagt Matthias Freund. Der Metzger und seine Frau Stephanie aus dem unterfränkischen Sailauf (Landkreis Aschaffenburg) halten damit einen Wurstweltrekord: Im Jahr 2018 schaffte es die Dorfmetzgerei mit ihrem Sortiment ins Guinness-Buch der Rekorde.

Inzwischen bieten die Freunds mehr als 200 verschiedene Würste an. Mal verfeinert mit Quinoa und Dinkel, mal mit Schokolade und Pistazien oder mit Schinken und Spargel. Während etwa bei der Apfel-Bärlauch-Bratwurst der Name verrät, was drin ist, geben die andere Kreationen zunächst ein Rätsel auf. Die Europa-Bratwurst etwa, bestehend aus blauen Algen und Käse, aus dem gelbe Sterne gestochen werden. Oder: die Viagra-Bratwurst. "Die grüne Viagra-Bratwurst ist inspiriert durch einen Radiobericht", erklärt Matthias Freund, "mit der Quintessenz, dass die Brennnessel das grüne Viagra ist."

Mindestens ein neues Produkt liegt jede Woche in der Theke. Daneben immer eine vegane Bratwurst. Die ausgefallenen Sorten haben die Popularität der Metzgerei auch außerhalb der Region gesteigert. "Unsere Kundschaft nimmt teilweise einen weiten Weg auf sich und fährt aus München oder Holland vorbei", sagt Freund. Entstanden ist die Freude am Experimentieren 2015, als die Freunds am Fränkischen Bratwurstgipfel in Pegnitz (Kreis Bayreuth) teilnahmen. Seither sei der Umsatz um mehr als die Hälfte gestiegen.

Mit dem kreativen Weg trotzt die Dorfmetzgerei Freund einem Wandel in der Branche. Denn seit Jahren werden Fleischereien in Dörfern und Kleinstädten rar - vorwiegend wegen Personalmangels, sagt Stefan Ulbricht, Sprecher des Fleischerverbands Bayern. Aber auch neue Vorschriften oder Preisschlachten von Lebensmittelketten machten dem Metzgerhandwerk zu schaffen. Hoffnung gebe Corona, da die Menschen sich wieder auf regionale Produkte besinnen, sagt Ulbricht. "Die Corona-Krise hat den Einkäufen der privaten Haushalte von Fleischwaren und Wurst im ersten Halbjahr 2020 deutlichen Auftrieb gegeben", bestätigt der Geschäftsleiter des Deutschen Fleischer-Verbands, Klaus Hühne. Dennoch rechne man insgesamt eher mit einem Rückgang: "Die Schlachtvieh- und Fleischerzeugung in Deutschland hat abgenommen", sagt Hühne.

Das Metzger-Handwerk brauche nicht nur deswegen mehr Aufmerksamkeit, sagt Matthias Endraß, der in der Metzgerei seiner Familie in Bad Hindelang (Landkreis Oberallgäu) arbeitet und vor zwei Jahren an der Metzger-Weltmeisterschaft im nordirischen Belfast teilgenommen hat. "In der Regel kriegen wir durch Tierschutz-Skandale oder die Vorfälle bei Tönnies nur Negativwerbung - obwohl wir dafür gar nicht verantwortlich sind."

Mit ihren zahlreichen Wurstsorten zieht die Kreativmetzgerei Freund, wie sie sich nennt, zwar neue Kunden an. Sie trifft dabei aber nicht immer jedermanns Geschmack. "Die Gummibärchen-Bratwurst schmeckte eher nach Red Bull, das kam nicht so gut an", erinnert sich Matthias Freund. Kunden dürfen gerne ihren Senf dazugeben, Vorschläge sind willkommen.

Die evangelische Bratwurst sei beispielsweise eine Auftragsarbeit des Aschaffenburger Martinushauses gewesen. Die hatten erfahren, dass es eine typische evangelische Bratwurst gibt, die wirklich so überliefert ist, erzählt Freund. "Diese ist ganz einfach hergestellt, ist aber sehr lecker. Sie wird nur grob gewolft und mit Pfeffer, Salz, Muskat und etwas Majoran gewürzt." Natürlich durfte dann das katholische Pendant nicht fehlen, das unter anderem mit Weißwein verfeinert wird.

Dass die Ideen ausgehen, befürchtet der "Kreativmetzger" nicht. Zum Beispiel liegt bisher noch keine Bratwurst anlässlich des Oktoberfestes in der Theke. "Mir schwebt da eine Bratwurst mit Radi und Weißwurstsenf vor", sagt Freund. "Natürlich schön würzig!"

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Quelle:
SZ vom 24.09.2020
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