Süddeutsche Zeitung

Unter Bayern:Im politischen Kosmos ist alles eine Frage des Draufschauens

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Wahlergebnisse, Skandale, politische Freundschaften: Weil es wichtig ist, recht zu haben, muss man eben manchmal die Perspektive wechseln.

Kolumne von Franz Kotteder

Alles ist ja immer eine Frage, wie man draufschaut. Auf die Welt sowieso, aber auch auf kleine Teilbereiche davon. Dabei ist es vor allem wichtig, recht zu haben, deshalb muss man bei manchen Dingen halt ein bisserl anders hinschauen. Die Bundes-SPD etwa erreicht nach neuesten Umfragen gerade noch einen Wert von 21 Prozent, damit liegt sie nur noch knapp vor dem letzten Landtagswahlergebnis der Bayern-SPD mit 20,6 Prozent.

Wie wir Markus Rinderspacher und Florian Pronold kennen, werden sie von einem "historischen Durchbruch" sprechen, schließlich träumen die bayerischen Sozialdemokraten seit Jahrzehnten davon, endlich einmal die Prozentzahlen der Genossen im Bund wenigstens annähernd zu erreichen.

Oder Skandale. Es gibt zum Beispiel Leute, die fanden es seinerzeit super, dass die Zeitungen viel von Strauß-Spezln berichteten, die sich schamlos bereicherten. Dafür finden sie es heute völlig ungehörig, über Putin-Spezl zu berichten, die sich schamlos bereichern. Das scheint also irgendwas anderes zu sein, oder diese Leute schauen einfach anders drauf.

Ähnlich verhält es sich mit Berichten des Obersten Rechnungshofs. Da finden es die einen allerhand, dass die Münchner Flughafengesellschaft der Lufthansa finanzielle Vorteile von bis zu einer Milliarde Euro gewährt hat, während Finanzminister Markus Söder empört ist, dass darüber vorab berichtet wurde.

Er will jetzt genauer draufschauen, sagt er, aber nicht hinein in den Bericht oder auf die Geschäfte des Flughafens. Sondern auf die, die den Bericht an die Presse gegeben haben: "Wir müssen die Formen der Dienstwege überprüfen."

Das alles führt freilich noch nicht weit genug. Eine ordentliche Weltanschauung mit geschlossenem Weltbild entsteht nämlich paradoxerweise nur dann, wenn man gar nicht erst hinschaut. Nur so werden Politiker wie Viktor Orbán oder Recep Tayyip Erdoğan zum standesgemäßen Umgang für Demokraten, und nur so kann man innerhalb des Schengen-Raums fordern, die Grenzen geschlossen zu halten.

Wenn man das im Hinterkopf behält, dann kann man allerdings verstehen, warum sich Horst Seehofer und Angela Merkel neuerdings wieder so einig sind, wie Seehofer sagt. Es kommt halt drauf an, wie man draufschaut.

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Quelle:
SZ vom 09.04.2016
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