Süddeutsche Zeitung

Tschechien-Reise von Seehofer:Ein fälliger Schritt

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Es ist der erste offizielle Besuch eines bayerischen Ministerpräsidenten in Tschechien - der Beginn einer "neuen Epoche". Doch die Aufmerksamkeit im Nachbarland ist gering.

Klaus Brill

Auf die Details kommt es an. Wenn Horst Seehofer an diesem Sonntag bei winterlichem Wetter nach Prag reist, dann erwarten ihn dort 24 angespannte Stunden. Der erste offizielle Besuch eines bayerischen Ministerpräsidenten in Tschechien soll nach Seehofers eigenen Worten "eine neue Epoche" im Verhältnis der beiden Nachbarländer einleiten. Nur aus einem Grund ist das Vorhaben heikel: weil Bayern bisher stets die Vertreibung der drei Millionen Sudetendeutschen aus der Tschechoslowakei 1945 und 1946 zum Thema gemacht hat. Doch darüber wollen die Tschechen bisher nicht reden. In jüngster Zeit hat auch Seehofer dazu geschwiegen, umso mehr wird darauf geachtet werden, ob und wie das Problem in Prag zur Sprache kommt.

Wichtigstes Signal ist die Zusammensetzung der bayerischen Delegation. Ihr gehören neben Seehofer und der Staatsministerin für Bundes- und Europaangelegenheiten, Emilia Müller, auch Randolf Rodenstock, der Präsident der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft, und Domkapitular Lorenz Wolf als Vertreter der katholischen Kirche an. Aber eben auch der CSU-Europaabgeordnete Bernd Posselt, der zugleich der Sprecher der Sudetendeutschen Volksgruppe und führender Mann der Sudetendeutschen Landsmannschaft ist. Sie alle sind für Sonntagabend vom tschechischen Außenminister Karel Schwarzenberg zum Essen geladen, und sie alle übernachten im Gästehaus der Regierung.

Das entscheidende Gespräch mit dem tschechischen Ministerpräsidenten Petr Necas am Montagmorgen führt Seehofer allein, beide treten danach auch allein vor die Presse - ohne einen Vertreter der Vertriebenen. Mittags, nach einem Gang durch den Veitsdom, stößt die Delegation zu einem Empfang des tschechischen Premiers hinzu. Für den Nachmittag sind dann Besuche der gesamten Delegation beim katholischen Prager Erzbischof Dominik Duka, bei der Prager jüdischen Gemeinde sowie bei Peter Barton, dem Leiter des Büros der Sudetendeutschen Landsmannschaft in Prag, vorgesehen.

So sehr der Besuch Seehofers in Deutschland beachtet wird, so reduziert ist die Aufmerksamkeit in Tschechien. Eine kurze Meldung gab es zum Besuch, er geht größtenteils im Prager Weihnachtstrubel und im Winterchaos unter. Seit zwei Tagen erregt zudem ein neuer Korruptionsskandal im Umweltministerium die Nation. Premier Necas steht deshalb unter schwerem Druck und muss sich am Dienstag, einen Tag nach Seehofers Besuch, im Parlament einem Misstrauensvotum stellen, das er aber überstehen dürfte. Möglichst wenig Aufhebens um Seehoers Reise - das ist offenbar der Wunsch der Prager Regierung.

Ansonsten ist aus ihrer Sicht der Seehofer-Besuch ein politisches Nachholspiel, das die auf wirtschaftlichem und kulturellem Gebiet florierenden Beziehungen endlich komplettiert. Die schwierige Vergangenheit bleibt protokollarisch ausgespart, auch das entspricht der tschechischen Position und überdies dem Geist der deutsch-tschechischen Erklärung von 1997. Erinnerungsorte stehen nicht im Programm, "das holen wir dann nächstes Jahr nach", sagt Bernd Posselt. "So macht man wenigstens einmal einen Anfang." Zusammen mit Seehofer plant er fürs Frühjahr eine weitere Reise ins Land, mehrere Tage lang.

Mit Kultusminister Ludwig Spaenle hat Posselt jüngst ein in Prag stark beachtetes Zeichen gesetzt, welche Stationen dafür unter anderem in Frage kommen: Die beiden waren in Lidice, dem Ort eines Nazi-Massakers, im früheren KZ Theresienstadt und an der Brücke von Usti nad Labem (Aussig), wo 1945 zahlreiche Sudetendeutsche ins Wasser geworfen wurden und ums Leben kamen.

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Quelle:
SZ vom 18.12.2010
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