Süddeutsche Zeitung

Sorge um den Lech:"Ein ferngesteuerter Cyborg"

Lesezeit: 3 min

Der Lech ist der am meisten verbaute Wasserlauf Bayerns, alleine zwischen Füssen und Augsburg fließt er über 20 Staustufen. Doch damit nicht genug: Der Energiekonzern Eon will ausgerechnet im Naturschutzgebiet des Augsburger Stadtwalds ein weiteres Kraftwerk bauen. Für viele seltene Pflanzen und Tiere wäre das der Tod.

Martina Scherf

Ein wilder, vom Leben gezeichneter Kerl, so präsentiert sich der Lech auf dem Augustusbrunnen am Augsburger Rathausplatz. Seiner Kraft und seinem vielfältigen Charakter verdankt die einstige Reichsstadt ihren Glanz und ihre Größe.

Mit seinen Gütern hat er die Menschen, die seit der Römerzeit an seinen Ufern siedelten, reich beschenkt: Pflanzen, Tiere, Holz und Baumaterial verdankten sie dem wilden Gebirgsfluss.

Und heute? An manchen Stellen ist der Lech nur noch ein Rinnsal, in ein Korsett gezwängt, in Kanälen versteckt, seiner kostbaren Fracht beraubt. Aus dem fruchtbaren Gewässer ist ein lang gestrecktes Elektrizitätswerk geworden, ein "ferngesteuerter Cyborg", ein Maschinenwesen, wie der Wissenschaftler Jens Soentgen von der Universität Augsburg meint.

Professoren verschiedener Disziplinen haben dem Lech in diesem Sommer eine Ringvorlesung gewidmet. Denn seine Kraft wurde dem Fluss zum Verhängnis: Allein zwischen Füssen und Augsburg wird sein Wasser durch 20 Staustufen zur Stromgewinnung geleitet. Menschen finden an seinen Ufern kaum noch Erholung, Fischarten sind verschwunden, Auenlandschaften nur noch an wenigen Stellen erhalten.

Und es droht neue Gefahr: Während die Isar in den vergangenen Jahren in aufwendigen Renaturierungsprojekten einen Teil ihrer Ursprünglichkeit zurückgewonnen hat - zum Wohle von Mensch und Natur -, hat die Elektrizitätswirtschaft den Lech erneut im Visier. Am Flusskilometer 50,4 im Augsburger Stadtwald, einem Naturschutzgebiet von europaweiter Bedeutung, will Eon ein weiteres Kraftwerk errichten.

"Das wäre schlimm", sagt Eberhard Pfeuffer vom Naturwissenschaftlichen Verein Schwaben. Denn im Stadtwald finden sich noch Reste einer Wildlandschaft, wie sie einst den ganzen Flusslauf prägte. Pfeuffer hat die Geschichte des Flusses in einem reich bebilderten und informativen Buch zusammengefasst (Wißner-Verlag, Augsburg).

Und er kämpft für die Renaturierung statt der weiteren Ausbeutung des Lechs. Schon jetzt ist der Grundwasserspiegel drastisch gesunken. Käme ein weiteres Kraftwerk hinzu, hätten die Auen und mit ihnen seltene Pflanzen wie Spitzorchis oder Sonnenröschen bald gar kein Wasser mehr. Dabei ist der Augsburger Stadtwald eben nicht irgendein Biotop, sondern das drittgrößte außeralpine Naturschutzgebiet Europas, wie Pfeuffer betont.

Wissenschaftler der Technischen Universität München untersuchen derzeit, wie man die Sohle stabilisieren könnte, um das weitere Eingraben des künstlichen Wasserlaufs zu verhindern. Man müsste im Stadtwald die künstlichen Schwellen zurückbauen und die Uferverbauung lockern, so wie es an der Isar gemacht wurde, meint Pfeuffer. Dann könnte man gemäßigtes Hochwasser zulassen, das die Auen wieder von Zeit zu Zeit überspielt. Ob es dazu kommt, hängt wohl auch davon ab, wie groß der Widerstand der "Lech-Allianz" gegen die Kraftwerkspläne sein wird.

Naturschützer sind aber nicht erst mit der Zerstörung wach geworden. Schon 1917 warnte Professor Otto Kraus, Vorsitzender der staatlichen Landesstelle für Naturschutz, vor den negativen Folgen des Wasserbaus: vor dem Geschiebe oberhalb der Wehre, dem Eingraben unterhalb, der verlangsamten Fließgeschwindigkeit, der Gefahr für Brücken und Ufer.

Die Historikerin Marita Krauss von der Uni Augsburg hat alte Dokumente gesichtet und stellt fest: "Es ist beunruhigend zu lesen, wie genau man die Folgen schon sah, bevor das Unheil angerichtet war." Anfangs glaubte man noch, den Privatunternehmern die Folgekosten aufbürden zu können. "Doch je stärker der Staat selbst als Unternehmer in die Energiewirtschaft einstieg, desto mehr versagten die Kontrollen."

Mühlenbesitzer gab es seit dem Mittelalter, sie hatten spezielle Wasserrechte. Doch erst seit Oskar von Miller mit dem Walchenseekraftwerk bewies, dass sich in großem Maße Strom aus Wasser gewinnen und in ferne Regionen übertragen lässt, witterten Unternehmer und Bankiers das große Geschäft. "Naturschutz als Privatinteresse, Strom als öffentliches!" propagierte der SPD-Abgeordnete Adolf Müller, Chefredakteur der Münchner Post, 1908 in einer Landtagsdebatte.

Und als nach dem Ersten Weltkrieg die Kohle teuer wurde, forcierte man die Energiewende. Entlang der Isar wohnten aber viele einflussreiche Menschen, die sich ihre Landschaft nicht verschandeln lassen wollten. Während sich dort schon früh auf Anregung des Architekten Gabriel von Seidl der Isartalverein "zur Erhaltung der landschaftlichen Schönheiten in der Umgebung Münchens" gründete und das Schlimmste verhindern konnte, war der Lech den Wasserbauern schutzlos ausgeliefert.

1934 stellte der Augsburger Kreisbeauftragte für Arbeitsförderung der NSDAP, Otto Kurz, gigantische Pläne für einen Kraftwerksverbund bis zu Main und Donau vor - samt Schifffahrt bis Augsburg (1921 war die Rhein-Main-Donau AG mit Sitz in München gegründet worden). Lech und Wertach wollte der Ingenieur zu einem riesigen Stausee vereinigen und durch Erddämme vor Fliegerbomben schützen. All das sei eine "Schlüsselfrage für die industrielle Entwicklung Bayerns für die Zukunft".

Dazu kam es nicht, doch 1940 wurde die Bawag gegründet, die staatliche Energieagentur. Mit ihr begann stufenweise der Ausbau des Lechs von Füssen bis zur Mündung in die Donau. Während auf der österreichischen Seite Naturschützer schon früh erreichten, dass ihr Wildfluss erhalten wird, ist der Lech ab Füssen heute der am meisten verbaute Fluss Bayerns.

Erst spät wuchs auch hier das Bewusstsein, dass ein Fluss mehr ist als ein Renditeobjekt. "Damals glaubte man, die Flüsse durch die ,saubere' Atomkraft retten zu können. Heute sehen wir, wie die Abkehr von der Atomkraft die Flüsse wieder wirtschaftlich interessant macht", sagt die Historikerin Krauss.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1410196
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 12.07.2012
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.