Süddeutsche Zeitung

Unterfranken:See ohne Wasser

Lesezeit: 3 min

Der Ellertshäuser See bei Schweinfurt wird zum zweiten Mal in seiner Geschichte abgelassen. Bis etwa 2024 müssen die Menschen auf ihren Badesee verzichten.

Von Clara Lipkowski, Stadtlauringen

Noch rechtzeitig bevor der Frost kommt, soll der See leer sein. Knapp zwei Millionen Kubikmeter Wasser sollen in den nächsten sechs Wochen verschwinden - aus einem Gewässer so groß wie etwa 42 Fußballfelder. Das Wasser muss weg, weil der See repariert werden muss, es wird abfließen über den angrenzenden Bach und ein paar Flüsse Richtung Main.

Es ist ein riesiges Sanierungsprojekt, das nun in Unterfranken angelaufen ist: Der Ellertshäuser See, größter unterfränkischer Stausee, beliebtes Ausflugsziel im sonst wenig seenreichen Unterfranken, bekommt neue unterirdische Rohre und technische Vorrichtungen. Die Hauptleitung ist marode, von Bakterien zerfressen. "Der ganze See liegt auf der Leitung", die Wassermassen "drückten" auf sie, sagt der Leiter des Wasserwirtschaftsamtes in Bad Kissingen, Leonhard Rosentritt. Handle man nicht, würde sie auf absehbare Zeit bersten. Die Folgen wären verheerend: "Damit würden wir ein großes Hochwasser in der Gegend produzieren", sagt Rosentritt. Eine Flutwelle, wie sie bei der Steinbachtalsperre während der Hochwasser in Nordrhein-Westfalen befürchtet wurde, wäre möglich.

Also nimmt man in Unterfranken etwa fünf Millionen Euro in die Hand, trocknet, entschlammt, saniert. Das Wasserablassen, sagt Rosentritt, sei dabei eigentlich das geringste Problem. Dafür habe er am Mittwoch lediglich einen "Schieber geöffnet", sagt er. Kontrolliert läuft seither eine erste Wassermenge ab, bis der Pegel um einen Meter gesenkt ist. Das sei ohnehin üblich, sagt Rosentritt. Der künstliche See dient als Regenauffangbecken und wird so jährlich gesenkt, damit er nicht überläuft und weiter vor Hochwasser schützt. In einem nächsten Schritt wird ein maroder Damm zwischen einem Vorsee und dem eigentlichen See gesichert und schließlich mehr Wasser abgeleitet. An der Hauptarbeit, der Sanierung, sagt Rosentritt, sind dann mehrere Baufirmen beteiligt.

Knapp 65 Jahre alt ist der Ellertshäuser See, 1957 wurde er nahe dem Markt Stadtlauringen in Betrieb genommen, seither dient er auch als Wasserquelle für das trockene Unterfranken. Der See wurde zum Badeort, es gibt Ferienhäuser, ein Seerestaurant, Surfer, jetzt aber müssen die Menschen erst einmal darauf verzichten - und zum Baden deutlich weiter fahren - nach Mittelfranken etwa, ins ebenfalls künstliche Fränkische Seenland.

1983 wurde der See schon einmal abgelassen. Ein erheblicher Eingriff in die Natur, damals wie heute. Doch Fehler in der ursprünglichen Bauplanung sieht der Wasserschutzexperte Rosentritt deswegen nicht. Es sei normal, dass sich Rohre abnutzten und getauscht werden müssten, 1983 - und jetzt eben wieder. Für das nächste Mal aber bauen sie nun vorsorglich einen neuen, zweiten Damm ein, der Ausbesserungen ermöglicht, während ein Teil des Wassers im See bleibt. Warum nicht schon 1983? Damals seien entsprechende Rohre noch nicht fällig für die Sanierung gewesen, sie zu tauschen sei nicht notwendig gewesen, sagt Rosentritt. Aber den Bakterienbefall habe man wohl nicht "auf dem Schirm gehabt".

Wie nun das Wasser weicht, dem könne man Woche für Woche mit dem Maßband nachgehen, sagt der örtliche Bürgermeister in einem Info-Video. Man bemüht sich um Transparenz, betont, dass auch Naturschützer eingebunden seien. Ist der Wasserpegel auf etwa zehn (von insgesamt 15 Metern Wassertiefe) gesenkt, werden die Fische und Muscheln aus dem See geholt. Mit zehn bis 20 Tonnen Fischen rechnet man, sagt Rosentritt, ein Spezialfischer fischt sie heraus. Größere Fische werden dann etwa an die Gastronomie verkauft, kleinere in einen Vorsee umgesiedelt werden, der voll bleibt.

Ab November wird der Schlamm abgetragen, untersucht und auf Äcker verteilt oder für Lärmschutzwälle verwendet. Von Frühjahr bis Sommer 2022 wird dann grundsaniert, im Stollen unterhalb des Sees und an den etwa letzten 100 Metern der Leitung, die nur erreichbar ist, wenn kein Wasser im Weg ist.

Nach Abschluss der Arbeiten sollten die Fische aus dem Vorsee in ihr altes Habitat zurückkehren und 2024 könnte dann wieder gebadet werden. "Das", sagt Rosentritt, "hängt aber auch vom lieben Gott ab, je nachdem, wie sehr er es regnen lässt und wie schnell der See vollläuft". Setze sich der Trend der eher trockenen vergangenen Jahre fort, könnte das auch länger dauern.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5426920
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.