Süddeutsche Zeitung

SZ-Projekt:"Brachvögel sind richtige Faulpelze"

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Von Christian Sebald, München

Ein gutes halbes Jahr sind Schnepfinger und die anderen Großen Brachvögel in dem Forschungsprojekt des Landesbunds für Vogelschutz (LBV) nun schon in ihren Winterquartieren in Spanien, Portugal und Marokko. Wenn man den LBV-Mann Markus Erlwein nach der wichtigsten Erkenntnis bisher fragt, antwortet er wie aus der Pistole geschossen: "Unsere Brachvögel sind richtige Faulpelze."

Schnepfingers Winterrevier an der südwestlichen Grenze des andalusischen Nationalparks Coto de Doñana ist gerade mal hundert Hektar groß, der Brachvogel hat es noch kein einziges Mal verlassen - er hat weder einen Ausflug gemacht, noch ist er zu einer Erkundung aufgebrochen. Das zeigen die Daten, die der GPS-Sender auf Schnepfingers Rücken wenigstens drei Mal am Tag via Handynetz auf die Computer in die LBV-Zentrale im mittelfränkischen Hilpoltstein überträgt.

Schnepfinger ist zumeist am Ostufer des Guadalquivir unterwegs, kurz bevor der Fluss einen Knick macht und in den Atlantik mündet. Dort liegt auch die Kleinstadt Bonanza. Jede Regung von Schnepfinger wird automatisch in Türkis auf eine Landkarte übertragen, die auch im Internet einsehbar ist. Sein Revier ist inzwischen ein einziger dicker Farbklecks. Nur wenn man immer weiter in die Karte hineinzoomt, wird der Farbfleck allmählich zu einem dichten, wirren Netz aus Linien. Diese Linien markieren die Flüge, die Schnepfinger am Guadalquivir unternimmt.

"Er lässt es sehr ruhig angehen", sagt der LBV-Mann Erlwein. "In seinem Winterrevier fliegt er nicht weiter als zwei Kilometer am Stück, dann legt er eine Pause ein, zum Fressen, zum Ausruhen oder zum Schlafen - mehr macht er nicht den lieben langen Tag." Auf der Karte sind natürlich auch die Winterreviere der anderen bayerischen Brachvögel in dem LBV-Projekt eingezeichnet. "Und was soll man sagen", erklärt Erlwein. "Sie sind alle ähnlich faul wie Schnepfinger."

Nur Nume 14 fällt völlig aus dem Rahmen. Nume 14 - der Name leitet sich ab von Numenius arquata, dem lateinischen Namen für Großer Brachvogel - ist bislang der einzig Jungvogel in dem Forschungsprojekt. Die Biologin Friederike Herzog und ihre Helfer haben ihn 2017 nahe dem Münchner Flughafen im Erdinger Moos eingefangen. Nume 14 ist ein begeisterter Flieger. Seit er Ende Juli 2017 als wenige Wochen alter Vogel in Portugal eingetroffen ist, pendelt er dort zwischen zwei ungefähr 250 Kilometer Luftlinie entfernten Regionen hin und her. Die eine ist das Naturschutzgebiet Estuário do Sado südlich der Stadt Setúbal. Die andere ist die Ria von Aveira, eine einmalige Wasserlandschaft an der portugiesischen Westküste in Höhe der Stadt Aveiro.

Wie der Nationalpark Coto de Doñana sind beide Regionen weitläufige Feuchtgebiete und Flussmündungen und berühmt für ihren Artenreichtum. In Estuário do Sado sind allein 211 Vogelarten dokumentiert. Die streng geschützte Mündung des Sado gilt als regelrechtes Aufzuchtbecken für Fische wie den lusitanischen Krötenfisch, die Goldmeeräsche oder Süßwasserdelfine. "Natürlich sind die beiden Regionen wie geschaffen für Große Brachvögel", sagt der LBV-Mann Erlwein. "Der Schlick in den Salinen der Ria de Aveira lädt geradezu ein zum Stochern nach Würmen, Krebsen und anderem Kleingetier. Das gleiche gilt für die Feuchtflächen, wenn in der Sado-Mündung Ebbe herrscht."

Stellt sich nur die Frage, warum ausgerechnet der Nume 14 der einzige Brachvogel in dem Forschungsprojekt ist, der im Süden zwischen zwei Revieren hin und her pendelt? "Das kann derzeit keiner beantworten", sagt der LBV-Mann Erlwein. "Denn es gibt mehrere Möglichkeiten." So könnte es sein, dass Nume 14 "im Gegensatz zu Durchschnitts-Brachvögeln halt ein Abenteurer ist, der es nicht an einem Ort aushält", wie Erlwein sagt. "So was gibt es immer mal wieder in der Vogelwelt."

Oder es hat damit zu tun, dass Nume 14 ein Jungvogel ist. Von jungen Brachvögeln ist bisher nur bekannt, dass sie die beiden Lebensjahre in dem jeweiligen Überwinterungsgebiet bleiben. Sie kehren erst ins Brutgebiet zurück, wenn sie geschlechtsreif sind. "Was die Jungvögel in den ersten beiden Lebensjahren aber im Süden alles machen, davon haben wir null Ahnung", sagt Erlwein. "Es könnte auch so sein, dass so ein Jungvogel in dieser Zeit längere Flüge oder das Wiederfinden eines Reviers übt und Nume 14 deshalb zwischen den beiden Regionen hin und her fliegt." Nächstes Jahr will der LBV unbedingt weitere Jungvögel in sein Forschungsprojekt aufnehmen. Mal sehen, ob auch sie so begeisterte Flieger sind wie Nume 14.

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Quelle:
SZ vom 26.11.2018
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