Süddeutsche Zeitung

Blatt aus Ostheim vor der Rhön:Deutschlands vielleicht kleinste Zeitung

Lesezeit: 3 min

Von Olaf Przybilla , Ostheim vor der Rhön

Es ist Montag, Volker Gunzenheimer ist eben mit der ersten Zeitung der Woche fertig geworden und ja doch: Er ist ganz zufrieden mit dieser Ausgabe mitten im Sommer. Der Aufmacher berichtet über "Gänsehautatmosphäre" in einem Kloster in der Nähe von Ostheim. Darunter Teil 25 eines bei Bastei Lübbe erschienenen Romans, es geht, soweit man das in diesem einen Kapitel nachverfolgen kann, im weitesten Sinn um Liebe. Und links neben dem Aufmacher steht die Lyrik einer Frau, die "einen Stammtisch zur Erhaltung der Ostheimer Mundart gegründet hat". Bisher ein Damenkränzchen, in dem aber "auch Männer willkommen sind", wie unterm Gedicht erklärt ist.

Gut, das Werk muss man jetzt nicht gleich in Klagenfurt oder Stockholm einreichen. Es richtet den Blick eher auf die Befindlichkeiten eines unterfränkischen Städtchens in respektive vor der Rhön: "Hoch lab soll onser Gerschtesaft / mi leide nit gern Duerscht / on hon mer Honger essemer / e Thüringer Broetwuerst." In Kurzfassung: Man lobt das Heimatbier in Ostheim und verzehrt dazu gerne Wurstwaren aus dem nahen Thüringen. So in etwa.

Auch der Chefreporter hört auf den Namen Volker Gunzenheimer

Gunzenheimer zuckt mit den Achseln. Wer ihm freundlicherweise was zur Verfügung stellt, der wird halt gedruckt, so einfach sind die Regeln bei der Ostheimer Zeitung, der OZ. Und wer das ein bisschen lustig findet, darf einen Blick ins Impressum der kleinsten Zeitung Deutschlands werfen. Inhaber: Volker Gunzenheimer. Lokalchef: Volker Gunzenheimer. Anzeigenchef: Nein, offiziell nicht Volker Gunzenheimer, das macht sein Sohn. Was das Impressum verschweigt, vermutlich aus Bescheidenheit: Auch der Chefreporter, der einzig festangestellte Fotograf, der Chefdrucker und der Chef vom Dienst hören auf den Namen Volker Gunzenheimer. Nur gegen eine Stellenzuschreibung würde er sich entschieden zur Wehr setzen. Chefkommentator ist er nicht. Will er auch nicht sein.

Möglich, sogar wahrscheinlich, dass andere Lokalchefs allerlei Ausflüchte suchen würden, warum das so ist. Gunzenheimer denkt gar nicht daran. Wenn er irgendwas aus dem Städtchen in eine Richtung kommentiere, dann störe sich womöglich jemand daran, der genau in die andere Richtung denke. "Und da sind ja auch viele Anzeigenkunden von uns dabei", erklärt Gunzenheimer. Ärger könne er sich einfach nicht leisten. Etwa 800 Zeitungen, ein Euro das Stück, verkauft Gunzenheimer pro Ausgabe, die meisten davon im Abonnement. Die Zeitung erscheint dreimal pro Woche, montags, mittwochs und am Freitag. Da ist die Zeitung 20 Cent teurer, des Fernsehprogramms wegen. Leicht rückläufig ist die Auflage, aber nicht enttäuschter oder gar wütender Leser wegen, sondern weil Gunzenheimer einfach die Leser wegsterben. Dann neuerdings noch der Mindestlohn für die Zeitungsausträger. Und klar: Die ersten Seiten fürs Überregionale kann er nicht auch noch füllen, die lässt er produzieren. Schwarze Zahlen? "Gerade noch", sagt Gunzenheimer. Aber ans Aufhören ist gar nicht zu denken. Mit 68.

Thüringische Enklave in Bayern

Nun würde man die kleinste Zeitung der Republik eher auf einer Insel erwarten, nicht in der Rhön. Aber im Grunde war Ostheim das lang: eine Insel. Bis in die Weimarer Republik galt der Ort als thüringische Enklave inmitten bayerischen Hoheitsgebiets. Napoleon hatte sich darin gefallen, Bayern mit jenen thüringischen Gütern zu entlohnen, die bis ins 18. Jahrhundert die Verbindung Ostheims mit Thüringen hergestellt hatten. Zwar wurde man nach 1945 dem Land Bayern einverleibt, die Sonderstellung aber blieb. Noch in den Siebzigerjahren wurden die Heiratsurkunden Ostheimer Paare in der DDR ausgestellt, in Thüringen. Und ein Sonderling ist der Ort auch nach der Wende geblieben: protestantische Enklave in katholischem Gebiet.

1907 wurde die OZ gegründet. Ein Konstruktionsfehler war wohl gleich der Name, glaubt Gunzenheimer. Vielleicht ein oder zwei Leser hat er in den Nachbarorten. Würde das Blatt Rhönpost heißen, wäre das womöglich anders. Andererseits: Ostheim mit seinen 3500 Einwohnern ist eben evangelisch, da stößt der lokale Gemeinsinn in einem katholischen Gebiet schnell an Grenzen. Expansion? Schwer für die OZ.

Womöglich über OZ-Online? Schwierig, sagt Gunzenheimer, er verschickt auch 70 Abos nach München und Hamburg, an Exil-Ostheimer. Am Ende bestellen die auch noch die Printzeitung ab und lesen im Netz. Also veröffentlicht er dort lieber lange Fotostrecken, etwa vom Faschingsumzug. Dann vielleicht doch mehr Meinungsstärke, um junge Leser ans Blatt zu binden? Das gehe nun gar nicht, sagt Gunzenheimer. Er ist Mitglied in mehreren Vereinen, das könne er sich nicht leisten. Und wenn er wirklich Meinung in der OZ haben will, fordere er jemanden auf, einen pointierten Leserbrief zu schreiben. So was mögen die Leser. Dass es weitergeht mit der OZ, davon ist Gunzenheimer überzeugt. Demnächst übernimmt offiziell sein Sohn.

Für den Tipp bedanken wir uns bei Rainer Kochinski aus Ostheim.

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Quelle:
SZ vom 25.08.2015
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