Süddeutsche Zeitung

Vor Gericht in Nürnberg:"Ich wollte dieses Mädchen retten"

Lesezeit: 3 min

Von Olaf Przybilla, Nürnberg

Wenn es zutrifft, was der Hauptbelastungszeuge in diesem Prozess um einen angeklagten Auftragsmord schildert, dann hat sein erstes Gespräch mit dem Angeklagten ziemlich unauffällig begonnen. Es war im Frühsommer, der 37-jährige Zeuge stand in der Abenddämmerung am Nürnberger Hauptbahnhof, wo er, wie er es schildert, im Übrigen öfters stehe. Warum er da öfters steht? "Weil mir langweilig ist", sagt der Zeuge, daraus wolle er gar keinen Hehl machen. Der 37-Jährige stammt ursprünglich aus dem Libanon, seit 30 Jahren hält er sich in Deutschland auf, derzeit mit Duldungsstatus. "Ohne Arbeit", sagt er, da werde es einem eben oft langweilig, leider. Und also stand er auch am 5. Juni 2019 gegen 21. 30 Uhr am Hauptbahnhof, als ihn ein Mann ansprach, den er noch nie gesehen hatte. Ob er eine rauchen wolle mit ihm. Klar, warum nicht?

Das Gespräch begann dann mit den üblichen Kennenlernfloskeln, wer von den beiden wann nach Deutschland gekommen ist, solche Sachen. An Genaueres aus diesem ersten Teil des Wortwechsels kann sich der Zeuge nicht erinnern, nur daran, dass man sich abwechselnd auf Deutsch und Arabisch ausgetauscht habe. Er, der Zeuge, könne kaum Arabisch. Dafür konnte der Mann, der ihn da ansprach, schlecht Deutsch. Und so verständigte man sich, so gut es eben ging. Bis zu dem Moment, in dem der Zeuge seinen Ohren nicht zu trauen glaubte - dann aber gleich innerlich umgeschaltet habe: ah, ein kleiner Scherz.

Der Mann am Bahnhof, der jetzt Angeklagte, soll ihn nämlich unvermittelt gefragt haben, ob er jemanden kenne, der eine Frau töten würde. Nun wäre das eine ungewöhnliche Form von Humor, und trotzdem schien dem 37-Jährigen diese Variante - ein sehr schlechter Scherz - noch am plausibelsten zu sein, weshalb er geantwortet habe: Ja klar, er selbst würde das machen. Er müsse ja demnächst eh hinter Gitter, da könne er das gegebenenfalls vorher noch erledigen. Er habe dann, um mit einem zweiten Scherz zu kontern, auch noch eine Geldsumme genannt: "50 000 Euro."

Der aber, der ihn da ansprach, habe gar nicht gelacht. Sondern erwidert, er kenne da einen, der so etwas für nur 1000 Euro erledige. Da wiederum, sagt der 37-Jährige im Saal 144 des Landgerichts Nürnberg-Fürth, habe ihm allmählich gedämmert, dass dieses Gespräch bitterer Ernst sein könnte. Er habe dann - zum Schein - "1500 Euro" erwidert; und weil er nicht ausschließen konnte, dass sich da eine Frau gerade in konkreter Gefahr befand, sei er zur Polizei gegangen danach. Vorher habe man sich noch lose zu einem erneuten Treffen verabredet, in zwei Wochen, wieder am Hauptbahnhof. Er sei da ja öfters.

So lange dauerte es gar nicht, sondern nur zwölf Tage. Diesmal sei der Mann konkret geworden. Ein Foto von der offenbar sehr jungen Frau habe er gezeigt; habe wie beiläufig erwähnt, dass diese Frau ihm "Kopfschmerzen bereite" und deshalb sterben müsse. Der Mann habe dann auf Google Maps gezeigt, wo die Frau derzeit wohne und welchen Weg sie zum Jugendzentrum gehe. Dort solle der 37-Jährige sie abpassen und "so schnell wie möglich" mit "sechs oder sieben Messerstichen" töten. Über Zahlungsmodalitäten habe der Mann nicht gesprochen, nur gesagt, dass er nun noch mal den anderen möglichen Auftragskiller aufsuche und in zwei Stunden zurückkehren werde zum Hauptbahnhof.

Beim ersten Mal bei der Polizei hatten ihm die Beamten eine Karte in die Hand gedrückt: Sollte der Mann ihn erneut aufsuchen, möge er sich umgehend melden. Das habe er also getan. "Ich habe gedacht, ich bin im falschen Film", sagt der Zeuge. "Ich meine, wir leben hier nicht in Libanon, nicht in Syrien oder Irak, sondern in Deutschland", schimpft er, und sollte seine Erregung nicht echt sein in dem Moment, wäre er ein exzellenter Mime. Als er später vom Ermittlungsrichter und aus der Zeitung erfahren habe, dass die Frau auf dem Foto die Schwester des Angeklagten ist, habe er die Welt nicht mehr verstanden. Aber so oder so: "Ich wollte dieses Mädchen retten", sagt er. Das sei ihm gelungen.

Die Staatsanwaltschaft wirft dem 24-jährigen Angeklagten vor, einen Mord in Auftrag gegeben zu haben, nachdem seine 16-jährige Schwester sich zunächst mit einem vom Vater ausgesuchten Mann verlobt hatte - sich dann aber weigerte, diesen auch zu heiraten. Am ersten Verhandlungstag vergangene Woche hatte der Angeklagte geschwiegen, nun lässt er eine Erklärung vortragen. Ja, er habe seine Schwester einmal mit der flachen Hand geschlagen, nachdem sie auf einem Volksfest mit einem anderen Mann - nicht ihrem Verlobten - geflirtet habe. Einen Auftrag zum Mord aber habe es nie gegeben. Vielmehr habe er den 37-Jährigen am Bahnhof angesprochen, weil dieser seiner Schwester Drogen verkauft habe. Das habe ihn erzürnt, das habe er verhindern wollen. Das Bild von ihr und ihre Adresse auf Google habe er nur gezeigt, um dem 37-Jährigen zu illustrieren, um welches Mädchen es gehe.

Den Zeugen erregt diese Aussage sichtlich. Er stehe jederzeit für eine Gegenüberstellung mit der 16-jährigen Schwester des Angeklagten zur Verfügung, sagt er. Dann werde sich herausstellen, dass diese ihn noch nie gesehen habe. Das Urteil in dem Verfahren soll noch diese Woche ergehen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4763998
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 21.01.2020
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.