Süddeutsche Zeitung

Die Türmer von Nördlingen:Die letzten ihrer Art in Bayern

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Sie warnten vor Feuer, hielten nach Feinden Ausschau, heute locken sie Touristen an: Das Berufsbild der Türmer hat sich gewandelt über die Jahrhunderte - in Zukunft könnte die Taubenabwehr als Aufgabe hinzukommen.

Von Florian Fuchs

Der Türmer in Nördlingen ist eine inzwischen über die Stadtmauern des historischen Städtchens im Norden Schwabens bekannte Institution, da wären die Vorgänger aus dem Mittelalter neidisch gewesen. Damals hatte der Türmer eine wichtige Funktion, damals gab es diesen Beruf auch noch in jedem größeren Ort, der etwas auf sich hielt: Der Türmer warnte die Bevölkerung vor dem Feind, er hielt Ausschau, ob irgendwo ein Feuer ausbricht. Er hatte die Übersicht, ganz oben, oft auf einem Kirchturm, wie eben in Nördlingen auf dem sogenannten Daniel, dem Wahrzeichen der Stadt.

Trotz der wichtigen Funktion aber hatten die Türmer wenig Ansehen, dem niedersten Stand gehörten sie an, ihre Kinder durften lange nicht einmal in andere Zünfte eintreten, um einen anderen Beruf zu erlangen. In Nördlingen lebte der Türmer mit seiner Familie im Turm - wenn er einmal hinunter wollte von seinem Ausguck, musste er eine Ausnahmegenehmigung beantragen.

Das ist heute anders, die Türmer können in ihrer Stube schlafen, dürfen aber nach der Arbeit auch nach Hause gehen. Überhaupt müssen sie die Bevölkerung nicht mehr vor Feuer warnen, das erledigen Rauchmelder, die Leitstelle der Feuerwehr übernimmt den Rest. Feinde haben die Nördlinger von ihrer Stadtmauer herab auch schon lange nicht mehr gesehen.

Die Türmer sind vor allem dafür da, Touristen anzulocken und Besucher zu unterhalten, mit Geschichten von früher und dem berühmten Nördlinger Ruf, der allabendlich vom Turm herab schallt, in alle Himmelsrichtungen: "So, G'sell, so." Und deshalb haben sie gerade eine Schulung erhalten in Nördlingen, Erste Hilfe für Notsituationen, die sich gewaltig verändert haben in mehreren Jahrhunderten: 350 Treppenstufen sind es zum Beispiel hinauf ins Türmerzimmer, da kann dem ein oder anderen Touristen mal schwindlig werden. Und wenn es brennt, dürfen sie heutzutage auch selbst zum Feuerlöscher greifen.

Es ist allerdings fahrlässig, dass die Stadt ihre Türmer nicht auch gleich in Taubenabwehr geschult hat. Bisher hatte die Katze Wendelstein eine eigene Stelle dafür im Turm, sie hatte sogar einen eigenen Posten im Haushalt Nördlingens, 250 Euro im Jahr für Futter und Tierarzt. Jetzt aber ist Wendelstein in Rente, sie lebt nicht mehr im Daniel. Höchste Zeit also für den nächsten Wandel im Aufgabenspektrum eines Türmers.

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