Süddeutsche Zeitung

Mitten in Bayern:Die letzte Oasen des Halsgrats

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Ein niederbayerisches Dorffest ohne Halsgrat - undenkbar. Die Twittergemeinde aber fremdelt mit diesem Schmankerl, und manche halten es sogar für eine Halskrankheit.

Glosse von Hans Kratzer

Nach Lage der Dinge hat der Schauspieler Marcus Mittermeier ("München Mord") kürzlich ein Dorffest in der Landshuter Gegend besucht. Das kulinarische Angebot, das dort auf einer Kreidetafel angepriesen wurde, war zwar landestypisch, aber gleichwohl hat es den prominenten Gast dermaßen fasziniert, dass er es fotografiert und auf dem Krawallmedium Twitter verbreitet hat. Als Begleitkommentar schrieb Mittermeier lediglich: "Niederbayern." Zur Einordnung sei kurz wiedergegeben, was auf der Tafel zu lesen war: "Maß Bier 6 Euro, Grachal 2,50 Euro, Hoisgrod mit Kartoffesalat und Semme 6,50 Euro, Hoisgrodsemme 4 Euro." Die Preise gehen voll in Ordnung, die orthografische Darstellung der Schmankerl warf aber in der Twittergemeinde viele Fragen auf: "Was ist denn bitte Hoisgrod?" Ein Teilnehmer jammerte: "Meine niederbayrische Frau weiß auch nicht, was Hoisgrod ist."

Viele Gewissheiten auf dieser Welt lösen sich gerade in Luft auf, sogar jene auf der ländlichen Speisekarte. Immerhin besaß das Kraftfutter Hoisgrod, also Halsgrat, bis dato in Niederbayern einen ähnlich unverrückbaren Status wie die Weißwurst in München. Das Genussfundament eines jeden Dorffests bilden seit jeher Schweinshaxn, Surbratl, Gickerl, Schweinswürstl und eben Halsgrat. Manche sagen auch Schweinenacken zu dieser vorderen Verlängerung des Kotelettstrangs, die stark von Fett durchwachsen und daher besonders saftig und aromatisch ist.

Selbst der Duden macht sich des Vergehens schuldig, das Wort Halsgrat nicht zu kennen. Und erst recht der Straubinger Sangespoet Hannes Ringlstetter, der das Phänomen Halsgrat in seinem populären Niederbayern-Lied einfach ignoriert und die Esskultur in diesem Landstrich eher engstirnig auslegt: "Wos Haxn und Hendl und Ochsen und Würstl grillen, Niederbayern . . ."

Auch mit dem Wammerl, einer Delikatesse, die aus dem Bauch des Schweins gewonnen wird, kann die Kultur-Schickeria nicht viel anfangen. Kein Gedicht und kein Lied mag dieses Wammerl würdigen, in dem noch das alte Wort wamba (Wampe, Bauch) steckt und das überdies nach üppigem Verzehr den Leibesumfang stärkt: "I gangad gern auf d'Kampenwand, wenn i mit meiner Wampn kannt . . ."

Zuletzt erbarme man sich all jener, die hinter dem Wort Halsgrat eine Halskrankheit vermuten. Dialektschützer Sepp Obermeier diagnostiziert die niederbayerische Halskrankheit vielmehr als "das starke Bedürfnis, einen Orden umgehängt zu bekommen!".

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