Süddeutsche Zeitung

Neumarkt in der Oberpfalz:Kaminkehrer singt Horst-Wessel-Lied vor Azubis

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Von Olaf Przybilla, Neumarkt

Der Angeklagte vergräbt sein Gesicht in den Händen, während die Staatsanwältin die Anklageschrift vorliest. Im Januar soll der 50-jährige Kaminkehrermeister in einem Ausbildungszentrum für angehende Schornsteinfeger vor Auszubildenden das Horst-Wessel-Lied gesungen haben, die verbotene Parteihymne der NSDAP. Er soll "Sieg Heil" gerufen haben und "Ausländer raus". Und er soll vor den Schülern einen an Widerwärtigkeit kaum zu überbietenden Witz über Juden vorgetragen haben.

Immer tiefer versinkt der Kaminkehrer in seinem Sitz, ehe er seinen Anwalt alles einräumen lässt und zuletzt selbst beteuert, wie leid ihm das alles tue. Der Prozess am Amtsgericht Neumarkt in der Oberpfalz dauert kaum eine halbe Stunde, dann ergeht bereits das Urteil: Wegen Volksverhetzung und des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen wird der Angeklagte zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen verurteilt.

Eines ist seinem Anwalt zuvor besonders wichtig zu erwähnen: Sein Mandant wisse bis heute nicht, was da in ihn gefahren sei und warum er das getan habe. Ansonsten stimme leider alles, was die Staatsanwältin vorgetragen habe. Der 50-Jährige hätte allerdings auch kaum Chancen gehabt, das ernsthaft zu bestreiten. Immerhin waren an diesem Abend etwa anderthalb Stunden vor Mitternacht mindestens 15 Auszubildende in einem Aufenthaltsraum zugegen, in dem normalerweise Billard gespielt wird; und von seinem Auftritt im Schulungszentrum Mühlbach bei Dietfurt existieren einschlägige Videoaufnahmen.

Auch hatte sich einer der Schüler die verbalen Exzesse des Ausbilders und dessen Hitler-Imitationen verbeten, worauf ihn der 50-Jährige mit Obszönitäten vor allen anderen zu erniedrigen versuchte. Erst als ein anderer Ausbilder den Raum betrat, stellte der Kaminkehrermeister seine Nazi-Parolen ein - und verabschiedete sich mit "Gute Nacht, Kameraden".

Keiner der Zeugen kommt vor Gericht zu Wort, der Angeklagte hat schon vor Prozessbeginn ein vollumfängliches Geständnis eingereicht und sich selbst angezeigt. Die verbleibende Frage, warum er das getan hat, hätten wohl auch die Zeugen nicht beantworten können. Der Angeklagte kann es selbst nicht. Nur unter Tränen habe er sich die Videos anschauen können, sagt sein Anwalt.

Würde er nur den leisen Verdacht hegen, sein Mandant habe an dem Abend tatsächlich seine Geisteshaltung zum Besten gegeben, so würde er ihn nicht verteidigen. Darauf aber gebe es keine Hinweise. Im Gegenteil habe er die alleinige Verantwortung für seine "beschämende Verfehlung" übernommen. Zwar habe er drei oder vier Bier getrunken an dem Abend, das sei aber keine Rechtfertigung.

"Ich schäme mich wirklich", sagt der Angeklagte. Nach Ansehen der Videos habe er sich überlegt, "vom Dach zu springen". Er wolle alles dafür tun, dass sich so etwas nie wiederholt, und habe sich selbst gestraft. Immerhin sei die Lehrtätigkeit, die er jetzt nicht mehr ausüben darf, die "Abwechslung" in seinem Beruf gewesen. Der Richter nimmt ihm die Reue ab und verzichtet auf eine Bewährungsstrafe. "Das hätte nicht passieren dürfen", sagt er, schon gar nicht vor Heranwachsenden. Aber das wisse der Angeklagte ja selbst. Das Urteil ist rechtskräftig.

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SZ vom 12.09.2018
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