Süddeutsche Zeitung

Nazi-Memorabilien:Lumpen-Flohmarkt

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Ein Stück Stacheldraht, eine Hitler-Büste oder das gestohlene Tor aus dem KZ Dachau: In der rechten Szene haben viele eine Obsession für alles aus der Zeit des Nationalsozialismus. Der Handel mit Devotionalien blüht.

Von Tanjev Schultz

Die Diebe kamen in der Nacht, stapften im Schnee ans Tor des ehemaligen Konzentrationslagers Auschwitz und sägten und schraubten, bis sie ihre Beute in Händen hielten. Im Dezember 2009 entwendeten sie den vier Meter langen Schriftzug "Arbeit macht frei" über dem Eingang. Wie jetzt in Dachau. Und damals wie heute fragte man sich, wer so etwas macht.

Zwei Tage nach dem Diebstahl fand die polnische Polizei die schwere Eisenkonstruktion. Sie lag beschädigt - in drei Teile zersägt - in einem Garten. Fünf Polen wurden festgenommen, anfangs sah es so aus, als hätten nur ein paar Kleinkriminelle eine große Dummheit begangen. Dann stellte sich jedoch heraus, dass ein schwedischer Neonazi der Drahtzieher war; er wurde zu zwei Jahren und acht Monaten Haft verurteilt. Der Schwede war in den Neunzigerjahren einer der führenden Köpfe der "Nationalsozialistischen Front", später stilisierte er sich zum angeblichen Aussteiger aus der rechten Szene.

Eine Faszination für alles aus der Nazi-Zeit

Selten sind die Diebstähle so spektakulär, aber Vorfälle gibt es in den Gedenkstätten immer wieder. Vor zwei Jahren wurde ein italienischer Tourist am Flughafen in Krakau festgehalten, weil er versuchte, ein Stück Stacheldraht mitzunehmen. Ein Lehrer aus Berlin wurde in diesem Sommer erwischt, als er Gabeln und Tonscherben einsteckte. Er hatte die Gegenstände an einer Baracke auf dem Gelände der Gedenkstätte gefunden. Angeblich wollte er die Sachen nur seinen Schülern zeigen.

Hinter dem Diebstahl des Schriftzugs "Arbeit macht frei" stand kein historisches Interesse. Der Neonazi aus Schweden hoffte offenbar, die Lettern teuer verkaufen zu können. In der rechten Szene haben viele nicht nur extreme politische Neigungen, sondern auch eine Obsession für alles aus der Zeit des Nationalsozialismus. Es gibt Sammler, bei denen es zu Hause aussieht wie in einem gruseligen Museum.

Politische Provokation

Bei Razzien finden Staatsschützer regelmäßig nicht nur echte oder dekorative Waffen, sondern auch allerlei alte Fotos, Orden und Abzeichen, Hitler-Büsten und Uniformen. Manch einer begnügt sich mit billigen Replikaten, aber für ein echtes Tor aus einem Konzentrationslager würden vermögende Rechtsextremisten vermutlich hohe Summen hinblättern.

Ein Diebstahl in den ehemaligen Lagern von Dachau oder Auschwitz ist zudem eine ungeheure politische Provokation. Selbst wenn sie nicht die Täter waren, gefällt das Neonazis, für die das Schänden von Mahnmalen und Gedenkstätten zum Repertoire ihrer militanten Aktionen gehört. Auch die NSU-Terroristen haben so begonnen: Im November 1996 marschierten Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt in braunen Uniformen über die Gedenkstätte von Buchenwald. Die beiden bekamen Hausverbot. Später bastelten sie das zynische Spiel "Pogromly", eine Art Monopoly für Neonazis. Dort, wo in der normalen Version die Spielfelder für die Flughäfen sind, befanden sich bei ihnen KZ-Felder.

Wer sich mit Andenken aus der Zeit des Nationalsozialismus eindecken möchte, wird auf Flohmärkten und im Internet schnell fündig. Man kann bezweifeln, dass jemand den Schriftzug "Arbeit macht frei" über einen Onlinehändler verkaufen würde, aber eigentlich kann man dort fast alles bestellen: eine "SS-Totenkopf"-Plakette zum Beispiel (25 Euro), diverse Schulterklappen (rund 20 Euro) oder die Dienstmützen führender Nazis (rund 100 Euro). Echt ist davon so gut wie nichts.

Ein Online-Händler, der seine Geschäfte von Skandinavien aus betreibt, distanziert sich vorsorglich von Rechtsextremisten - die vermutlich dennoch seine treuesten Kunden sind. Angeblich ist das ganze Angebot nur fürs Theater oder für Hobby-Historiker gedacht.

Spezialisten im Vertrieb von Nazi-Memorabilien

Manchmal werden durchaus auch authentische Stücke verkauft, sogar beim Online-Auktionshaus Ebay. Geschickte Anbieter versuchen, anstößige Zeichen auf den Fotos ihrer Waren zu verdecken. Ein paar Aktivisten durchforsten routinemäßig das Ebay-Angebot, und Michael Wehner von der Landeszentrale für politische Bildung in Baden-Württemberg leitet die Funde an die Ebay-Geschäftsleitung weiter, die daraufhin in der Regel Verkaufsverbote erlässt. Vor ein paar Tagen hat Wehner wieder etwas melden müssen, unter anderem einen Orden mit Hakenkreuz.

In großen Mengen werden NS-Devotionalien auf Flohmärkten im Ausland verkauft, nicht zuletzt in Polen, wo sich einige Händler darauf spezialisiert haben. In Österreich hat das "Mauthausen Komitee" an Hunderte Flohmarktbetreiber Broschüren verteilt. Darin versucht der Verein, die Betreiber für das Problem zu sensibilisieren. Oft wüssten die Betreiber und auch einige Händler gar nicht, dass sie gegen Vorschriften wie das Abzeichengesetz verstoßen.

In München stand vor einigen Wochen ein Rentner vor Gericht, der auf einem Flohmarkt unter anderem einen alten Stahlhelm, eine Gasmaske mit Reichsadler und eine Hitler-Büste verkaufen wollte. Der Mann stand nicht das erste Mal wegen des Verwendens von Kennzeichen nationalsozialistischer Organisationen vor Gericht. Der Richter nannte ihn "unbelehrbar" und verhängte eine viermonatige Haftstrafe auf Bewährung und eine Geldauflage: 1500 Euro musste der Mann bezahlen - an den Verein der Überlebenden des Konzentrationslagers Dachau.

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Quelle:
SZ vom 04.11.2014
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