Süddeutsche Zeitung

Moderne Monarchin:Die Königin der Berge

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Marie von Bayern steht zu Unrecht im Schatten ihres Sohnes Ludwig II.

Seit Jahrhunderten beeinflussen die Wittelsbacher mit ihren Schlössern Hohenschwangau und Neuschwanstein das Leben der Menschen in und um Füssen. Hunderte Familien arbeiteten für den Hof, als Max II. Joseph Bayerns König war. Ähnlich war es bei seinem Sohn Ludwig II., auch wenn mancher über dessen Bauwut den Kopf schüttelte - damals wie heute leben die Leute davon. Denn die meisten Touristen kommen wegen der Schlösser ins Allgäu. Auch Erih Gößler lebt seit mehr als 40 Jahren vis-à-vis der Königsschlösser und arbeitete als Führerin in Schloss Neuschwanstein, bis sie - von der Massenabfertigung entnervt - aufgab. Aber dort entdeckte die Füssener Stadtführerin Königin Marie von Bayern.

Wenig ist über die Prinzessin aus Preußen bekannt, sie verschwindet fast im Schatten ihres Sohnes Ludwig II. Mindestens 60 Bücher über ihn stehen in Gößlers Büro, über Marie gibt es drei. Dabei war sie beim Volk beliebt, engagierte sich sozial und gründete 1869 den Frauenverein des Roten Kreuzes in Bayern. In Füssen blieb die Königin als eifrige Bergsteigerin in Erinnerung, sie erklomm als erste Frau diverse Berge der Region, bis hin zu Watzmann und der Zugspitze. "Das war in der damaligen Zeit schon bemerkenswert, und ziemte sich nicht für eine Königin", sagt Gößler. Marie sei am preußischen Hof sehr frei aufgewachsen und nahm sich diesen Freiraum auch in Bayern. "Aber anders als Kaiserin Sisi nahm Marie auch ihre Aufgaben bei Hof wahr", sagt die 63-Jährige. Die Berge waren die Leidenschaft der Königin. So oft es ging, zog es sie hinaus. Im eigens angefertigten Wanderkleid aus Loden samt Hosenbeinen darunter. Die Hofdamen klagten zuweilen über die anstrengenden Wanderungen, denn nur wenn es allzu steil und steinig wurde, waren sie befreit. Die letzten Meter bis zum Gipfel legte die Königin mit dem Bergführer zurück - in Hosen, ohne Rock.

Die Begeisterung für Marie geht bei Gößler tief. Sie wechselt ins Präsens, wenn sie über die Königin spricht, verteidigt sie, wenn es um die angeblich schwierige Beziehung Ludwigs zu seiner Mutter geht und ist ehrlich empört, als sie von den Forderungen des Königs erzählt. In Briefen aus Italien habe Max von italienischen Frauen vorgeschwärmt und Marie aufgefordert, Sport zu treiben und doch bitteschön mehr zu lesen. "Er war nie da, und solche Briefe kriegt man dann!", sagt Gößler. Aber Marie fügte sich, die Ehe galt als gut. Auch weil beide extrem gläubig waren, sagt Gößler. Die protestantische Königin konvertierte im Alter noch zum Katholizismus.

Die Wanderleidenschaft teilt Erih Gößler mit der Königin. Sie schneiderte sogar das Wanderkleid nach. "Ich wollte wissen, wie es sich anfühlt, so in die Berge zu gehen", sagt Gößler. Und? "Erstaunlich gut, der dünne Lodenstoff ist überraschend ausgleichend." Den Rock trägt sie bei Touren auf Maries Spuren. Um Touristen nicht zu überfordern wie Marie ihren Hofstaat, serviert Gößlers Mann Tee - an den Plätzen, die der König auf dem Alpenrosenweg für seine Frau anlegen ließ.

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SZ vom 01.03.2016 / angu
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