Süddeutsche Zeitung

Mitten in Aschaffenburg:Obacht, Ironie!

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Das Landratsamt Aschaffenburg lädt einen 76-Jährigen vor, weil dieser in einem Leserbrief an die Lokalzeitung mit seinen Verkehrssünden prahlt - dumm nur, dass der Behörde sein feiner Unterton entgangen ist.

Von Olaf Przybilla

Eines muss sich Karl Albrecht Schreiber vorwerfen lassen: Er hätte in seinen Leserbrief ein paar gelbe Zwinkergesichter einbauen müssen. Und falls es die auf seinem Schreibgerät noch immer nicht geben sollte - es gibt bekanntlich Buntstifte. So oder so, eines muss ganz klar sein: Es ist Bayerns Fahrerlaubnisbehörden keinesfalls zuzumuten, auf dem Amtsweg eine ironische Äußerung als solche trennscharf auszumachen und in den vorgegebenen Arbeitsablauf handlungsadäquat einzubauen. Schon gar nicht angemessen ist Ironie in Leserbriefen an die Lokalzeitung. Diese sind, zum Glück, als vollständig ironiefrei bekannt und überall beliebt.

Es kann also nicht angehen, dass Herr Schreiber, ein 76-jähriger Arzt im Ruhestand, sich nun noch als Opfer des Landratsamts Aschaffenburg geriert. Dieses hat, vollkommen zu Recht, Herrn Schreiber wissen lassen, dass es die "Vorlage einer Medizinisch-Psychologischen Untersuchung (MPU) gemäß § 11 Abs. 3 Nr. 4 FeV" anzuordnen beabsichtige. Vulgo: einen Idiotentest. Der Grund hierfür war ein Leserbrief Schreibers, den zwar womöglich leseaffine Primaten als irgendwie nicht ganz so ernst gemeint erkannt haben würden. Aber nochmals: In der Lokalzeitungsleserbriefspalte? Niemals!

Herr Schreiber fand es angemessen, auf die Debatte um die Fahrtüchtigkeit von Senioren in einem Ton zu reagieren, mit dem er das FAZ-Feuilleton belästigen mag, nicht aber professionelle Leser in Aschaffenburger Amtsstuben.

Herr Schreiber schrieb: Er fahre als 76-Jähriger mehrmals in der Woche eine Strecke am Untermain, auf der man quasi nicht überholen könne, bewusst langsam ab und blicke am Ende auf eine "400 Meter lange Autoschlange voller glücklicher" Menschen, die mit ihm die "entschleunigte Fahrt genießen konnten". Ihm gehe das Herz auf, wenn er im Rückspiegel beobachte, wie andere "durch lautes Hupen, dichtes Auffahren, Lichtsignale und freundliches Gestikulieren ihrer Begeisterung" stets Ausdruck verliehen.

Alltagsironie, verwerfliche! Die Behörde hat alles richtig gemacht: Ein derartig notorisches Verkehrshindernis gehört vorgeladen, falls es sich nicht zu erklären vermag. Herr Schreiber hat dann beteuert, dass das Ironie war. Aha, dann muss er also nicht zum Idiotentest.

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Quelle:
SZ vom 21.12.2016
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