Süddeutsche Zeitung

Lawinen:Das Handy wird zum Lebensretter

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Ein 35-Jähriger wird von einer Lawine verschüttet - und kann nach fünf Stunden Kampf einen Hilferuf absetzen. Für seine Freundin kam jede Hilfe zu spät.

Heiner Effern

Nach fünf quälenden Stunden war sein Körper immer noch einzementiert in den Schneemassen, der Kopf immer noch in einem Luftloch etwa 30 Zentimeter unter der Oberfläche.

Doch der 35 Jahre alte Tourengeher aus Bayern hatte den Kampf um sein Leben gewonnen: Er hatte so lange geruckelt und gezogen und gegraben, bis er nun mit einem Arm an die Tasche mit dem Handy kommen, die rettende Nummer eingeben und auf den Knopf drücken konnte.

Der Notruf bei den österreichischen Bergrettern ging am Donnerstagabend um 19.10 Uhr ein. Sofort starteten sie mit dem Helikopter und flogen mit eingeschalteten Suchscheinwerfern zum 2244 hohen Sonntagsköpfl ins Zillertal hinauf.

Der verschüttete Tourengeher dirigierte sie am Handy auf die Nordseite, wo er mit seiner 27-jährigen Freundin auf der Abfahrt von einer Lawine überrascht worden war. Als die Retter den Lawinenkegel ausgemacht hatten, dauerte es nur noch Minuten, bis sie den Mann ausgraben konnten. Für seine in unmittelbarer Nähe liegende Freundin kam jedoch jede Hilfe zu spät.

Die Tour von Hochfügen auf das Sonntagsköpfl gilt als relativ einfach und sicher. "Normalerweise bist du da nie alleine", sagt Andreas Wierer, Bergführer und Leiter des Einsatzes am Donnerstagabend. Allerdings seien die Verhältnisse nach Schneefällen und vor allem starken Wind schwierig gewesen. "Es hat hier teilweise stark geblasen. Die Lawinengefahr lag hier zwischen der dritten und vierten Stufe", sagt Wierer. Schon die mittlere der fünf Gefahrenstufen steht für ein erhebliches Risiko. Schon geringe Belastungen der Schneedecke können Lawinen auslösen.

Der 35-Jährige kam nur mit dem Leben davon, weil eine Schneescholle vor seinem Kopf einen Hohlraum zum Atmen freigeblockt hatte. Er war nach Stunden im Schnee gut ansprechbar und vermutete gleich, dass es seine Freundin wohl nicht geschafft hatte.

"Auch seine Körpertemperatur war noch phänomenal gut", sagt Bergretter Wierer. Er führt die ausgebliebene Unterkühlung auf den ständigen Kampf des Mannes um die Bewegungsfreiheit seiner Hand zurück. Die Bergung des Mannes und seiner toten Freundin gelang trotz der Dunkelheit so schnell, weil sie für die Fahrt im Gelände bestens ausgerüstet waren, unter anderem mit einem elektronischen Pieps, der eine schnelle Ortung ermöglicht.

Die Schneefälle, Wind und teilweise wärmere Temperaturen hatten aber nicht nur die beiden Tourengeher am Sonntagsköpfl mit fatalen Folgen in die Berge gelockt.

Schon am Mittwoch waren ein 17- und ein 18-Jähriger aus Lindau im Skigebiet Diedamskopf (Vorarlberg) abseits der Pisten in einer Lawine tödlich verunglückt. Auch für einen britischen Soldaten endete ein Skiausflug tödlich. Mit Kameraden war er am Donnerstag am Riedberger Horn (Oberallgäu) unterwegs, als sie auf 1500 Metern Höhe von einem 300 Meter breiten und 400 Meter langen Schneebrett mitgerissen wurden. Obwohl der Verschüttete schon nach etwa 10 Minuten geborgen wurde, starb er noch am Berg.

In den bayerischen Alpen kam es in dieser Woche noch zu mehreren Lawinenabgängen, allerdings konzentrierte sich die Gefahr auf die Täler südlich von Oberstdorf. Im Skigebiet Bolsterlang verschüttete eine Lawine sogar eine Piste auf 30 Metern, Skifahrer kamen aber nicht zu Schaden. "Dieses Gebiet hat mehr Schnee bekommen als andere Regionen, dazu hat ein starker Westwind geblasen", sagt Hans Konetschny von der bayerischen Lawinenwarnzentrale. Die dadurch entstandenen Verwehungen hätten die Schneedecke stark belastet, teilweise hätten sich deshalb sogar Lawinen von selbst gelöst.

Fürs Oberallgäu gilt die erhebliche Lawinengefahr auch in tieferen Lagen. Entwarnung gibt es bis zum Wochenende nicht. "Die Lawinenlage wird weiter angespannt sein", sagt Konetschny. Es soll nochmals Schnee fallen, wenn dann noch Wind dazukommt, "sind schon sehr gute Kenntnisse über den Schneeaufbau nötig, um bei einer Tour ohne Risiko durchzukommen".

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SZ vom 06.02.2010/bica
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