Süddeutsche Zeitung

Landtag:Das Parlament in der Warteschleife

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Staatsregierung beantwortet Anfragen von Abgeordneten oft nur unzureichend oder zu spät, kritisieren Oppositionspolitiker

Von Lisa Schnell, München

Am Anfang habe er sich noch zurückgehalten, sagt Matthias Fischbach. Er dachte, es werde schon besser werden. Vielleicht ja nur ein Versehen. Aber es sei eben nicht besser geworden. Jetzt sagt er: "Mir reicht's wirklich!" Was den FDP-Landtagsabgeordneten so schimpfen lässt, hört sich zunächst vor allem lästig an. Die Staatsregierung schaffe es fast nie, seine schriftlichen Anfragen fristgerecht zu beantworten, sagt er. Und wenn dann mal eine Antwort eintrudele, sei sie oft unvollständig. Ärgerlich, ja, aber muss man deswegen gleich so durch die Decke gehen?

Auf den ersten Blick vielleicht nicht, auf den zweiten aber geht es ja nicht nur um ein bisschen Wartezeit, sondern um die Demokratie. So sieht das zumindest Fischbach, der von einer "Missachtung des Parlaments" durch die Staatsregierung spricht. Unterstützung bekommt er von seinen Kollegen aus der SPD-Fraktion und von den Grünen. Bei der nächsten Ältestenratsitzung im Landtag an diesem Mittwoch wollen sie Landtagspräsidentin Ilse Aigner dazu auffordern, sich mehr für die Rechte des Parlaments einzusetzen. "Da muss die Präsidentin eine höhere Priorität darauf legen - Parteimitgliedschaft hin oder her", sagt Fischbach. Aigner ist bei der CSU, vertritt als Landtagspräsidentin aber das ganze Parlament. Jeder Abgeordnete habe das Recht, die Regierung zu kontrollieren, sagt Fischbach. Dieses aber werde durch die "regelwidrige Antwortpraxis" vieler Ministerien behindert.

Die Staatsregierung ist verpflichtet, die schriftlichen Anfragen eines Abgeordneten innerhalb von vier Wochen zu beantworten. Sie muss alle Informationen weitergeben, über die sie verfügt oder die sie mit zumutbarem Aufwand in der erwarteten Zeit ermitteln kann. So steht es in der Geschäftsordnung des Landtags. Regeln, auf die von Landtagspräsidentin Aigner verwiesen werde, heißt es aus dem Landtagsamt. Auf die Aufforderung Fischbachs, sich mehr für die Rechte des Parlaments einzusetzen, lässt sie mitteilen: "Das ist schon geschehen." Für Fischbach ist offenbar noch nicht genug geschehen. Er erzählt von einem Vorfall, der "an Dreistigkeit kaum zu überbieten" sei.

Am 10. Oktober stellte er eine Anfrage zur psychischen Gesundheit von Schülern. Er wollte wissen, was die Staatsregierung unternimmt, um auf eine im November erscheinende Studie reagieren zu können. Das war ihm nicht möglich, da die Antwort erst fast drei Wochen nach Fristablauf kam. Sie beinhaltete nur einen Hinweis, nämlich auf den Zwischenbericht der Staatsregierung im Bildungsausschuss. Doch selbst der habe nur zwölf der von ihm gestellten 23 Fragen beantwortet, so Fischbach. Ein andermal bekam er nur dürftige Informationen zu einem Thema, das der Kultusminister kurz darauf der Presse vorstellte. "Die eigene Pressekonferenz ist offenbar wichtiger als das verfassungsrechtlich geschützte Auskunftsrecht des Parlaments", sagt Fischbach. Ende Oktober weigerte sich das Kultusministerium, die Abi-Noten nach Schulen aufzuschlüsseln, weil ansonsten Schulen stigmatisiert werden könnten. Fischbach drohte mit einer Verfassungsklage. Das Kultusministerium verweist auf den hohen Verwaltungsaufwand bei Schulen und darauf, dass die Anzahl der Anfragen "noch in jeder Wahlperiode erheblich anstiegen". Auch Florian von Brunn (SPD) kündigt eine Verfassungsklage an - gegen das Umweltministerium, weil es eine Anfrage nicht beantworten wollte. Der Grund: zu viel Aufwand. Auch Horst Arnold, SPD-Fraktionschef, kann den Ärger nachvollziehen. Vor allem das Bauministerium lasse sich mit Antworten Zeit, sagt er. Und zwar mehr Zeit als früher. "Keinen Unterschied zur letzten Legislaturperiode" sieht dagegen Jürgen Mistol von den Grünen. Das habe eine kleine Umfrage in der Fraktion ergeben. Dabei rechnete ein Kollege aus, dass eine Anfrage im Schnitt nach 52,6 Tagen beantwortet wird, also fast doppelt so lange wie vorgesehen. Die Grünen unterstützen deshalb Fischbachs Vorstoß im Ältestenrat. Mistol lässt aber auch Verständnis durchscheinen, dass bei nunmehr 205 Abgeordneten wohl einfach mehr Anfragen anfallen dürften als bei 180.

Zahlen des Landtagsamts bestätigten das. Bis Ende November stellten die Abgeordneten in dieser Legislaturperiode 1303 schriftliche Anfragen, etwa 400 mehr als im gleichen Zeitraum der vergangenen Legislaturperiode, und etwa 700 mehr als in der zuvor. Die meisten kamen in diesem Jahr mit etwa 500 von den Grünen. Angesichts der Tatsache, dass sie die größte Oppositionsfraktion sind, wenig verwunderlich. Die AfD dagegen hat statt 38 Abgeordneten 20, stellt aber nach den Grünen die meisten Anfragen (417). Ein Beweis für ihren Fleiß, so kann man das sehen. Oder auch anders: Vor allem auf die AfD-Anfragen soll der Hinweis von Landtagspräsidentin Aigner zutreffen, "dass Fragen an die Staatsregierung nicht selten auch durch relativ einfache Internet-Recherche beantwortet werden können".

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SZ vom 04.12.2019
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