Süddeutsche Zeitung

Umstrittene Anordnung:"Es sind nicht nur die Gottlosen, die hier klagen"

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Von Anton Rainer, München

Wolf Steinberger, Atheist, Familienvater und Kurator der Giordano-Bruno-Stiftung, hat seine eigene Geschichte mit dem Kreuz. Als vor vielen Jahren eines seiner Kinder starb, stellte er bei der Beerdigung in Wolfratshausen entsetzt fest, dass die Kirche am Grab des Sohnes ein weißes Kreuz angebracht hatte. Ohne die Eltern des kleinen, ungetauften Mario zu fragen. Mit den Worten "Das ist bei uns halt so", wurde Steinberger vertröstet, er solle sich nicht so aufregen. "Stellen Sie sich vor, ihr Kind wäre gestorben und da stünde ein Scientology-Kreuz", sagt Steinberger, "oder ein Halbmond." Er kämpfe für jede Form der Religionsfreiheit, auch für die von Christen - er selber aber möchte "einfach nur in Ruhe gelassen werden". Das gelte für Kreuze am Grab genauso wie für Kruzifixe in staatlichen Behörden.

Deswegen kämpft Steinberger vor Gericht gegen den Kreuzerlass von Ministerpräsident Markus Söder. Als einer von rund zwei Dutzend Klägern, die der "Bund für Geistesfreiheit" in München und Bayern zusammengetrommelt hat.

Seit 1. Juni dieses Jahres sind sämtliche Behörden im Freistaat verpflichtet, im Eingangsbereich ihrer Dienstgebäude "deutlich wahrnehmbar" ein Kreuz anzubringen. Es sollte ein Coup sein, Söder hängte eigenhändig ein Kreuz in der Staatskanzlei auf, das sollte für christliche Werte, Heimat und Tradition stehen. Von der umstrittenen Richtlinie fühlen sich die "Gottlosen", wie sich der Verband selbstironisch nennt, in ihren Grundrechten beschränkt. Und nicht nur sie: 25 Einzelpersonen bewegte der Bund für Geistesfreiheit dazu, die Klage zu unterzeichnen, darunter einige Prominente. Der Liedermacher Konstantin Wecker ist ebenso dabei wie Landtagsvizepräsidentin Ulrike Gote.

Letztere ist nicht nur religionspolitische Sprecherin der Grünen im Landtag, sondern selbst katholische Christin: "Das Kreuz ist für mich ein wichtiges Symbol", sagte Gote am Dienstag, "ich will nicht zulassen, dass irgendeine Regierung oder Partei mein Symbol für populistische Zwecke vereinnahmt." Ähnliche Gründe treiben den evangelischen Pfarrer Matthias Striebeck um, eine seiner Predigten gegen die Kreuzpflicht wurde der Klageschrift als Anlage beigefügt. Zitate von Münchens Kardinal Reinhard Marx finden sich ebenso in dem zwanzigseitigen Dokument wie ein kleiner Exkurs über das Konzil von Ephesos im Jahre 431 nach Christus.

"Es sind nicht nur die Gottlosen, die hier klagen", sagte Assunta Tammelleo, stellvertretende Vorsitzende des Bundes für Geistesfreiheit München. Offensichtlich haben sich die Kläger große Mühe gegeben, ihre Anstrengungen nicht wie einen Angriff weniger Atheisten und Agnostiker aussehen zu lassen, oder gar wie eine Respektlosigkeit gegenüber christlichen Religionsgemeinschaften. Den Pressemappen liegt zwar eine Ausgabe der Satirezeitschrift "Gaudiblatt" bei, inklusive Bastelbogen für einen "Hampel-Jesus" und mehreren Stickern gegen die "katholische Missbrauchskirche" - doch der Ton, den Tammelleo und ihre Mitstreiter gegenüber Gläubigen anschlagen, ist versöhnlich.

Angekündigt wurde der Widerstand gegen den Kreuzerlass bereits im Mai, damals sollte eine Verfassungsbeschwerde geprüft werden. Stattdessen hat der Bund für Geistesfreiheit nun Klage vor dem Verwaltungsgericht München eingereicht. Eine bewusste Überlegung, wie Anwalt Dirk Asche erklärt. Es sei üblich, zuerst den Rechtsweg zu beschreiten, bevor man sich an die Verfassungsrichter wende, wie es der Bund für Geistesfreiheit etwa mit einer Popularklage gegen das Polizeiaufgabengesetz gemacht habe. Dennoch sei man selbstverständlich bereit, "diese Klage so weit wie möglich zu tragen".

Wenn es sein muss, auch vor den Verfassungsgerichtshof. Dafür nämlich sehen die Kläger gute Gründe: Der Kreuzerlass verletze Artikel 4 des Grundgesetzes, die Glaubens-, Gewissens- und Weltanschauungsfreiheit, weil der Staat unverhohlen Partei für eine Religionsgemeinschaft ergreife. Das Kreuz stehe eben nicht für die "kulturelle Prägung Bayerns", sondern für Christus.

Andere Argumente: Der Kreuzerlass, findet Markus Apel, Vorsitzender des Lesben- und Schwulenverbands Bayern, propagiere die Ablehnung gleichgeschlechtlicher Ehen und den biblisch begründeten "Ausbeutungsanspruch des Menschen über das Tier". Außerdem, schreibt ein weiterer Unterzeichner, handle es sich bei katholischen und evangelischen Amtskirchen "auch um gewerbliche Unternehmen, für die auf diese Weise geworben wird".

Ein besonderes Anliegen aber ist den Klägern die sogenannte negative Religionsfreiheit. Als Nicht- oder Andersgläubige seien sie "von der Geburtsanzeige bis zur Sterbemitteilung, von der Kfz-Zulassung bis zum Bauantrag, von einer Gewerbeanmeldung bis zur Eheschließung" zu Behördengängen gezwungen - und damit, gegen ihren Willen, mit Religion konfrontiert. "Diese provokative Bevorzugung des christlichen Glaubens", heißt es in der Klageschrift, wirke für die Betroffenen "als gleichsam staatliche Empfehlung und entwertet damit ihre eigene Gewissensüberzeugung".

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SZ vom 10.10.2018
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