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Kratzers Wortschatz:Pratzen weg vom Tröpferlbad

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Viele Wohnungen hatten einst kein Badezimmer, die Menschen wuschen sich in öffentlichen Anstalten. Die Brause- und Wannenbäder nannte man Tröpferlbad, weil das Wasser dort bei großem Andrang oft nur schwach aus der Leitung tröpfelte.

Tröpferlbad

Früher hat sich die Alltagssprache im täglichen Miteinander noch frei von jeglichen medialen Einflüssen bildhaft ausgeformt. Dabei sind liebreizende Wörter entstanden, zum Beispiel das Tröpferlbad, das vor allem in Wien zur Blüte kam, aber auch in München bekannt war. Auf der Schwanthalerhöhe gab es ein solches öffentliches Bad, in dem man für ein paar Zehnerl brausen konnte oder für ein Aufgeld eine Badewanne benutzen durfte. Das Wort Tröpferlbad hatte hier einen eher spöttischen Beiklang, weil das Wasser, wenn viele Besucher baden wollten, oft nur aus der Leitung tröpfelte. Die Wohnungen in den damaligen Arbeitervorstädten hatten in der Regel kein Badezimmer, die Menschen waren auf öffentliche Badeanstalten angewiesen.

In ihrem aktuellen Roman "Die Inkommensurablen" beschreibt die Autorin Raphaela Edelbauer ein Wiener Tröpferlbad im Jahre 1914 sehr anschaulich. Drei junge Menschen suchen nach einer durchfeierten Nacht eine solche Anstalt auf, "ein gräuliches Häuschen, das in roten Lettern die Aufschrift Brausekabinen trug."

Auch in der Thalkirchener Straße in München gab es ein Städtisches Brausen- und Wannenbad, das als Tröpferlbad bekannt war. Der Bau dient heute als Jugendtreff, und auch die alte Bezeichnung überlebte in dem Namen "Jugendtreff Tröpferlbad".

Im ländlichen Dialekt spricht man nicht - wie in der vornehmeren städtischen Mundart - vom Tröpferl, sondern vom Drepfe: a Drepfe Bluat. Wenn es regnet, dann fängt es zum Drepfen an.

Arbeiterpratzen

Überall fehlen Arbeitskräfte, vor allem dort, wo noch körperliche Arbeit verrichtet werden muss. Einen angehenden Ruheständler, der sein Arbeitsleben überwiegend im Büro verbrachte, aber dennoch keine zarten Hände hat, wollte der Chef eines logistischen Betriebs neulich sehr direkt anwerben: "Du hast doch Arbeiterpratzen, du kannst doch leicht noch mithelfen." Arbeiter- und Bauernpratzen, das ist das Gegenteil der filigranen Hände eines Schreiberlings, es sind quasi große, rissige Schaufeln, mit denen man zupacken, heben und stemmen kann. Daraus speist sich auch das gängige Drohwort: "Dua deine Pratzen weg!" Wenn einer große Hände hat, sagt man: "Der hat Pratzen wie Abortdeckel!" Das Wort Pratzen kommt wohl vom lateinischen brachium (italienisch: braccio), das aber den ganzen Arm beschreibt.

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