Süddeutsche Zeitung

Prozess:Bauen zum "Freundschaftspreis"

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Aus dem Gericht von Johann Osel, Ingolstadt

Es ist nicht sonderlich gemütlich auf den Plastikbänken im Foyer des Ingolstädter Landgerichts, aber es gibt noch einige Dinge zu klären, dringend. Etwas abseits sitzt der frühere Oberbürgermeister Alfred Lehmann mit seinem Verteidiger beisammen, auch seine Frau stößt dazu, man beugt sich über mehrere Blatt Papier und feilt an Formulierungen. Der Anwalt sagt irgendwann zu seinem Mandanten: "Das was war, machen wir klar."

Das, was war in der Amtszeit des CSU-Politikers bis 2014 und danach als einfacher Stadtrat, ist seit März Gegenstand eines langwierigen Strafprozesses. Die Anklage lautet auf Bestechlichkeit in zwei Fällen. Für Freitag ist der letzte Tag der Beweisaufnahme angesetzt, Beobachter konnten ahnen: Es muss noch etwas kommen, der 69-Jährige muss quasi auspacken, will er die Chance wahren, nicht ins Gefängnis zu gehen. Ein erstes Geständnis, wonach er "Fehler gemacht" habe, hatte das Gericht kaum überzeugt. Tatsächlich erweitert Lehmann an diesem Tag das Geständnis. Und doch bleibt unklar, was das genau bedeutet.

Es geht um die bekanntlich rege Bautätigkeit in Ingolstadt, konkret um zwei Immobilienkomplexe. Im ersten Fall betrifft die Anklage Lehmanns eigene luxuriöse Wohnung auf dem Areal des früheren städtischen Krankenhauses in der Innenstadt. Er soll sie "zum Schein" als Rohbau gekauft und gratis ausgebaut bekommen haben. Lehmann, der zum Prozessbeginn alle Vorwürfe bestritten hatte ("Es gab keine Bestechlichkeit"), verwies im Laufe der Beweisaufnahme auf verzögerte Rechnungsstellungen durch den Bauträger aus dem Kreis Pfaffenhofen; und dass er eigentlich geplant habe, die Wohnung in Eigenregie ausbauen zu lassen. Als Gegenleistung soll er Zugeständnisse für den Bauträger veranlasst haben, vor allem bei der Geschossfläche der Wohnsiedlung.

Im zweiten Fall geht es um ein Investment in Studenten- und Soldatenbuden in einer ehemaligen Kaserne; dabei soll Lehmann beim Ausbau Spezl-Rabatt von einem Unternehmer aus dem Kreis Eichstätt erhalten haben - dafür soll er vertragliche und planerische Extrawünsche der Firma, die das Teilareal kaufte, an den zuständige Gremien vorbei durchgeboxt haben. Das aber, so der Alt-OB zu Beginn des Strafprozesses, sei zum Wohle der Stadt und für einen raschen Baufortschritt im Sinne der Studenten geschehen. Es geht insgesamt um einen Vorteil von mehreren Hunderttausend Euro.

Die Monate der zähen Beweisaufnahme mit vielen Zusatzterminen (ursprünglich sollte das Urteil schon im Mai fallen) brachten Entlastendes für Lehmann - so zum Beispiel bei anfänglichen Vorwürfen der Untreue, also finanziellen Schäden für die Stadt. Aber es kam durch Zeugen und die Rekonstruktion von Absprachen Belastendes auf den Tisch. So viel, dass die Kammer unter dem Vorsitz von Richter Jochen Bösl - "als Geste der Fairness" - Hinweise zum Stand der Dinge gab. Lehmann droht eine mehrjährige Haftstrafe. So hatte Bösl die Möglichkeit eines Geständnisses erwähnt, das "nicht nur ein großes Lippenbekenntnis" sein sollte. Ohne Geständnis bewege man sich oberhalb der Grenze von zwei Jahren Freiheitsstrafe, die automatisch ohne Bewährung sei. Für einen fast 70 Jahre alten Mann mit zuletzt gesundheitlichen Problemen ist das von enormer Relevanz. Lehmanns erstes "Geständnis" Ende Juli aber wertete Staatsanwalt Gerhard Reichel so: Es habe "mit einem Geständnis überhaupt nichts zu tun".

Der Richter stellt klar, viele bisherige Erklärungen Lehmanns seien "nicht glaubhaft"

Daher nun der Nachschlag. Rechtsanwalt Andreas von Máriássy liest den Text vor, man habe "länger geschraubt" daran. Und vorneweg: Anders als oft behauptet, sei Lehmann "nicht beratungsresistent", sondern stelle sich den Vorwürfen sowie weiteren Fragen. Zunächst kommt der "Freundschaftspreis" zur Sprache. Ja, den habe der Bauunternehmer für die Kasernenbuden angeboten. Es habe ein "enges persönliches Verhältnis" bestanden, die Frau des Unternehmers war die Patentante einer Tochter Lehmanns. Und es stand auch das Angebot im Raum, dass er nach der OB-Zeit die Firma beraten solle. Das passt insofern ins Bild, weil Lehmann - ob aus Angst vor Langeweile oder mit Blick auf Saläre - nach 2014 einige solcher Jobs annahm: bei einem dritten Bauunternehmer aus dem Kreis Neuburg-Schrobenhausen, der in Ingolstadt gerne Fuß fassen wollte; oder als Berater bei einem Headhunter, der für Stadt und Klinikum Spitzenpersonal anheuerte. Beides hat ein Geschmäckle, ist aber nicht justiziabel.

Jedenfalls habe der Unternehmer offeriert, "als ersten Schritt" der künftigen guten Zusammenarbeit den Kasernenausbau günstig zu übernehmen. Lehmann wisse, "das hätte er nicht annehmen dürfen". Später war er "behilflich", Verzögerungen beim Projekt zu klären. Beim Innenstadtareal, so der Anwalt, sei tatsächlich der Rohbauvertrag gewählt worden, damit der vorher gebotene günstige Pauschalpreis "nicht auffällig" werde. Lehmann habe verstanden, dass er einen Vorteil angenommen habe, und bereue dies. Vom Bauträger sei er gebeten worden, beim Fortgang "zu helfen", er habe aber nichts persönlich veranlasst. Er habe nur versäumt, im Stadtbauamt prüfen zu lassen, ob alles korrekt abläuft.

Das zweite Geständnis war auch deshalb unausweichlich geworden, da es neulich noch ein Gespräch zwischen Richter, Staatsanwaltschaft und Verteidigung gab. Darin stellte Bösl klar, dass viele bisherige Erklärungen Lehmanns "nicht glaubhaft" seien. Und dass in dem einen Fall Bestechlichkeit wahrscheinlich sei, nur im anderen womöglich eine geringer zu ahndende Vorteilsannahme. Interessant ist, dass Lehmann zwar alles einräumte - die Gegenleistungen aber nicht aktiv, sondern sozusagen durch Unterlassen ermöglicht haben will. Daher will das Gericht weitere Fragen zum Geständnis stellen, an einem Zusatztag für die Beweisaufnahme. Plädoyers und Urteil verzögern sich erneut. Letzteres wird nun am 22. Oktober erwartet.

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Quelle:
SZ vom 14.09.2019
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