Süddeutsche Zeitung

Industriegeschichte:Grundig verabschiedet sich aus Nürnberg

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Von Uwe Ritzer

Alexander Mayer hat es kommen sehen, und deshalb ist er nicht wirklich überrascht. "Die türkischen Eigentümer und Manager sind mit der Marke und ihrer Geschichte nicht verbunden", sagt er. "Sie haben sie nie verstanden und dementsprechend auch nie gepflegt." Es sei ihnen einfach nur um den Namen gegangen, denn mit diesem Namen lässt sich im Idealfall viel Geld verdienen. Schließlich kennen ihn Umfragen zufolge 98 Prozent der Deutschen: Grundig.

Ein Mann und seine Firma. Max Grundig lebte von 1908 bis 1989. Er war der Bild- und Tonmeister des deutschen Wirtschaftswunders. Ein Imperator, der in Spitzenzeiten ein Heer von 38 500 Arbeitern anführte, die in seinem Namen Radios, Fernseher und Stereoanlagen bauten. Alexander Mayers Vater war einer davon. Walter Mayer war Entwicklungsleiter bei Grundig; im vergangenen Jahr ist er gestorben. Sohn Alexander, promovierter Historiker und ehemaliger Fürther Stadtheimatpfleger, ist der vielleicht beste Kenner was den Aufstieg und den Fall von Grundig angeht. Er findet es "schlimm", dass nun der nahezu letzte Rest aus Franken verschwindet.

Am Donnerstagabend kündigten die türkischen Eigentümer an, die Firma Grundig Intermedia samt allen 72 Arbeitsplätzen in der zweiten Jahreshälfte von Nürnberg nach Neu Isenburg bei Frankfurt zu verlagern. Dort haben die Muttergesellschaft Arçelik und das Schwesterunternehmen Beko ihren Deutschland-Sitz. Beide gehören zum türkischen Koç-Konzern, dem größten des Landes. Auf den Standort Nürnberg/Fürth bezogen ist das der Schlusspunkt unter einen Niedergang, der lange vor dem Koç-Einstieg schon begann.

Rein wirtschaftlich sind die Umzugspläne für Nürnberg kein Problem. Mental und historisch aber sind sie eine Zäsur. Grundig war jahrzehntelang Jobmaschine und Aushängeschild der alten Industriestadt Nürnberg und ihres Umlandes. In ganz Nordbayern wurden Arbeitskräfte eingesammelt und in Werksbussen nach Nürnberg, Fürth oder Georgensgmünd gekarrt, um in Grundig-Fabriken zu arbeiten. Die vermehrten sich so schnell, dass sie der Einfachheit halber nur noch durchgezählt wurden: Werk 1, Werk 2, Werk 3. . . Im Nürnberger Stadtteil Langwasser wurde eine eigene Grundig-Stadt aus dem Boden gestampft, zwei Wohntürme mit Werkswohnungen inklusive. Alles sehr lange her.

Kein Platz für Nostalgie

Nostalgie kann etwas Schönes sein, im wirtschaftlichen Leben jedoch ist kaum Platz für sie. Die Grundig-Stadt ist längst ein Gewerbegebiet. Das letzte, was dort noch an Max Grundig erinnert, ist eine Büste im Foyer der besagten Grundig Intermedia. Ob der Bronze-Kopf mit nach Neu-Isenburg umzieht, stehe noch nicht fest, sagt eine Firmensprecherin. Zuerst müsse man die Zukunft der Mitarbeiter klären. "Es ist uns ein großes Anliegen, dass alle mit uns ins Rhein-Main-Gebiet umziehen", sagt Geschäftsführer Sühel Semerci.

Egal, ob sie das Angebot annehmen oder nicht: Die Grundig, für die sie heute arbeiten, hat mit der von einst außer dem Namen nur noch den Umstand gemein, dass nach wie vor Fernseher und Audiogeräte gebaut werden. Wenn auch nicht mehr in Franken, sondern in der Türkei. Ansonsten werden unter der Marke Grundig auch Staubsauger und Haartrockner, Backöfen und Geschirrspüler verkauft. Die Eigentümer und Manager bejubeln dies als erfolgreichen Wandel vom Unterhaltungselektronik-Hersteller zum "einzigen europäischen Home Electronics Vollsortimenter". Denn mit Fernsehern lässt sich nur noch sehr schwer Geld verdienen; der Markt ist übersättigt, die Hersteller liefern sich einen ruinösen Preiskampf.

Für Markenexperten ist der Verkauf von Grundig-Küchengeräten die Mutation einer klar in der Unterhaltungselektronik positionierten Marke zum beliebigen Elektronik-Gemischtwarenladen. Und für Grundig-Puristen ist es nicht weniger als der Missbrauch des großen Namens und ein Verrat an der großen Vergangenheit.

Die Erfolgsgeschichte hatte 1946 begonnen, als Max Grundig den Heinzelmann unter's Volk brachte, ein Radiogerät zum Selberbauen. Zeitgenossen wie Alexander Meyers Vater Walter beschrieben den Unternehmer als genialen Pionier mit lange Zeit untrüglichem Gespür für die Bedürfnisse der Nachkriegsdeutschen.

Aber auch als Patriarchen und sturen Despoten, der seine Ingenieure in ihren Labors einsperrte und neue Geräte wütend aus dem Fenster im sechsten Stock warf, wenn sie ihm nicht passten. So stieg die Firma zum europäischen Marktführer auf. Und ihr zunehmend selbstgefälliger und starrsinniger Alleinherrscher übersah die asiatische Konkurrenz, die ab den Siebzigerjahren den Markt mit Geräten aufmischte, die flotter aussahen und billiger waren.

In seiner Not holte Max Grundig den niederländischen Philips-Konzern an Bord, der die Firma 1984 komplett übernahm. Der Alte zog sich mit seiner 43 Jahre jüngeren, dritten Frau Chantal ins gemessen an Nürnberg mondäne Baden-Baden zurück, baute dort das Kurhaus Bühlerhöhe zum Luxushotel um und langweilte sich ansonsten, bis er starb. Daheim in Franken verlor die Firma Marktanteile und Arbeitsplätze. Am 1. Juli 2003 wurde das Insolvenzverfahren eröffnet; Grundig wurde zerschlagen. Das Kerngeschäft übernahmen die heutigen Eigner mit einem britischen Partner; seit 2007 betreiben sie es alleine.

Doch der Glanz der fetten Zeiten kommt nicht wieder. Seit Jahren verbreitet ein Manager nach dem anderen Optimismus; die Realität sieht enttäuschend aus. Konkreten Fragen weicht man gerne aus. Umsatzzahlen könne man nicht nennen, weil man Teil eines börsennotierten Konzerns sei, so eine Sprecherin auf Nachfrage. Das ist Unfug. Grundig Intermedia ist eine GmbH und muss ihre Geschäftszahlen veröffentlichen. Jene für 2014 finden sich im Bundesanzeiger und sie sehen nicht gut aus: 5,2 Millionen Euro Verlust bei knapp 210 Millionen Umsatz. Dabei hatte Geschäftsführer Murat Sahin behauptet, 2014 sei ein "erfolgreiches Jahr für Grundig" gewesen.

Sahin ist nicht mehr Geschäftsführer; überhaupt sind einige Manager seit der Übernahme verschlissen worden. Nun also der Umzug, um die Deutschland-Aktivitäten zu bündeln und näher am zentralsten und größten deutschen Flughafen Frankfurt zu sein, heißt es offiziell. Auch anderweitig verabschiedet man sich. Das Nürnberger Fußballstadion trägt nur noch bis Saisonende den Namen Grundig. Offizieller "Technologiepartner" der Bundesliga ist man auch nicht mehr. Sponsor beim 1. FC Nürnberg hingegen schon. Nun fragt man sich in der Stadt: Wie lange noch?

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SZ vom 11.04.2016
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