Süddeutsche Zeitung

Ilztalbahn:Verein will stillgelegte Zugstrecke wiederbeleben

Lesezeit: 4 min

Von Maximilian Gerl

Michael Liebl und Wilhelm Splitter haben sich strategisch ungünstig auf der linken Zugseite platziert. Rechts rauscht die Ilz, funkelt das Wasser durch den Wald herauf. Später wird zwischen den Blättern Waldkirchen auftauchen. Eine Sehenswürdigkeit aber gibt es nur links: einen kahlen, steilen Hang. Splitter erzählt, wie hier im vergangenen Jahr ein Erdrutsch abging. Fast hätte er das Aus bedeutet, über Wochen blockierte Geröll die Gleise, drohte der Hang weiter abzurutschen. Und dann die Kosten. Liebl sagt: "Ein Wunder, dass es die Bahn noch gibt."

Die Ilztalbahn ist stillgelegt, eigentlich. Trotzdem pendelt jedes Sommerwochenende ein Zug zwischen Passau und Freyung im Freizeitbetrieb. Ein Provisorium. Die Strecke wird von einem Verein mit knappem Budget betrieben; seit Jahren hofft er auf einen Regelbetrieb. Dann gäbe es Geld vom Freistaat für jeden gefahrenen Kilometer, der Verein wäre Verantwortung und Sorgen los. Das Problem: Ein Regelbetrieb scheint in weiter Ferne zu liegen. Denn die Ilztalbahn ist zwar ein Erfolg - aber vielleicht ein zu großer.

Liebl, 74, und Splitter, 65, sitzen dem Förderverein Ilztalbahn vor. 290 000 Euro brachte der auf, um den Erdrutsch zu beseitigen, Privatdarlehen und Zuschüsse halfen. Den Hang sichert jetzt Beton. Die finanzielle Gefahr für den Verein ist damit nicht gebannt, die Bahn fährt durch viel Wald, ständig liegen Bäume auf den Gleisen. Selbst wenn alles glatt läuft, fallen genug Kosten an, für Diesel, für Wartungen. Immerhin das Personal ist günstig: Alle Lokführer und Schaffner arbeiten ehrenamtlich. Auf einen Betriebstag von 14 Stunden kommen rund 50 Stunden freiwillige Arbeit. "Es funktioniert, weil viele mithelfen", sagt Splitter. Liebl: "Noch ein Erdrutsch und das war's."

Überall in Bayern wurden in der Vergangenheit Strecken stillgelegt, zu wenig Fahrgäste, hieß es stets. 1982 erwischte es die Ilztalbahn. Als 1994 die Zuständigkeit für den regionalen Schienenverkehr auf den Freistaat überging, sah es kurz aus, als würde die Ilztalbahn reaktiviert; auch ein Gutachten sprach sich dafür aus. Es passierte nichts. 2005 gründete Liebl den Verein. Helfer befreiten die Gleise von Gestrüpp. 2010 die erste Fahrt. Liebl dachte, super, jetzt kommt bald der Regelverkehr. Wieder passierte nichts. Bis heute fährt der Verein auf eigene Rechnung, vor allem für Touristen. Dabei habe man dem Freistaat die Strecke auf dem Silbertablet serviert, sagt Liebl, "er muss nur zugreifen".

Auch anderswo gibt es Versuche, Strecken zu reaktivieren. Es ist schwierig. Beispiel Regentalbahn. Sie verkehrt noch bis September im Probebetrieb zwischen Gotteszell und Viechtach. Wie es weitergeht, ist offen. Der Freistaat hat signalisiert, den Probebetrieb zu verlängern, obwohl das Passagieraufkommen bisher unter der Vorgabe von 1000 Personenkilometern pro Tag blieb. Der Landkreis Regen müsste aber 2,5 Millionen Euro beisteuern - und wohl die Kreisumlage erhöhen. Einige Gemeinden sind jetzt schon knapp bei Kasse.

An der Ilz weiß man gar nicht so genau, wie viele Leute mit der Bahn fahren würden, wenn sie dürften. Dazu wäre eine sogenannte Potenzialanalyse nötig: Sollte sie einen hohen Bedarf ermitteln, stünden die Chancen auf eine Reaktivierung gut. Vor der Analyse müssten sich aber alle Beteiligten über die Zukunft der Bahn einig sein - allen voran die Stadt Passau sowie die Landkreise Passau und Freyung-Grafenau. Sind sie aber nicht. In den Archiven der örtlichen Presse finden sich daher reichlich Zuweisungen und Bezichtigungen. Liebl etwa sagt: "Der Landkreis Passau blockiert." Dabei könne die Bahn doch den überlasteten Straßenverkehr in und um die Stadt Passau entlasten.

Passaus Landrat Franz Meyer (CSU) sieht das anders. Die Ilztalbahn sei "ein hochwertiges touristisches Angebot", aber: "Unser ÖPNV und in besonderer Weise die Schülerbeförderung wären massiv von einem Regelbetrieb betroffen." Daher hätten sich alle betroffenen Gemeinden und Gremien gegen eine Reaktivierung ausgesprochen. Meyer verweist auf die Vorgabe "Schiene vor Straße" und das Schülerbeförderungsgesetz, wonach nur der kostengünstigste Schulweg erstattet wird.

Ein Regelbetrieb der Bahn würde dazu führen, dass Schüler morgens mit einem aufwendigen System von Zubringerbussen zu den Bahnhöfen gebracht werden müssten. In Passau bräuchte es dann einen Verteilverkehr vom Hauptbahnhof zu den einzelnen Schulen. "In vielen Fällen würden in der Summe höhere Beförderungskosten als jetzt entstehen." Für die Schulen habe das unabsehbare Folgen, "das kann niemand ernsthaft wollen".

Die Ilztalbahn rattert malerisch durch Ostbayern. 50 Kilometer ist die kurvenreiche Strecke lang, nichts für Schnellfahrer. In Neuhausmühle, mehr Wiese als Bahnhof, hält der Zug auch mal länger, damit sich Passagiere im Hof gegenüber frischgebackenes Brot kaufen können. An schönen Sommertagen fahren einige Hundert Gäste mit, die meisten von ihnen Ausflügler auf dem Weg nach Passau, Waldkirchen oder Freyung. Die Bahnhöfe im Kreis Passau dagegen liegen abseits der Ortschaften und werden wenig frequentiert.

Für eine Potenzialanalyse wäre die Bayerische Eisenbahngesellschaft (BEG) zuständig, die dem Verkehrsministerium untersteht. Dort reagiert man zurückhaltend. Wo ein Konsens auf kommunaler Seite fehle, werde die Staatsregierung nicht "in eine vertiefte Prüfung" für eine Reaktivierung einsteigen. Über eine "Beurteilung durch die Akteure vor Ort" setze man sich nicht hinweg; jede Reaktivierung beeinflusse "zwangsläufig" den Bestand an Buslinien.

Der Zug rollt in Freyung ein. Die Stadt bekommt gerade eine Volksmusikakademie und bald eine Landesgartenschau. Gleichzeitig stehen Läden leer. Ein Bahnanschluss würde Freyung weiter aufwerten. Bürgermeister Olaf Heinrich (CSU) sagt, er könne die BEG verstehen: Niemand investiere 80 000 Euro in eine Analyse, "wenn sich die Beteiligten uneins sind".

Auch die Sorgen der Passauer Kollegen verstehe er, der ÖPNV dürfe keinesfalls unter der Bahn leiden. Allerdings wisse man ja nicht, wie groß der Einfluss tatsächlich sei. Sein Vorschlag: "den Automatismus der Potenzialanalyse ausschalten". Heißt: Falls die Studie einen Bedarf ermittle, dürfe das nicht gleich zu einer Reaktivierung führen. Erst Lösungen für alle; dann, wenn es Sinn habe, der Regelverkehr.

Damit könnte der Förderverein leben. "Wenn Schüler drunter leiden, bleibt es beim Freizeitbetrieb", sagt Liebl. Auf der Rückfahrt nach Passau ist etwa ein Viertel der 50 Plätze belegt. An einem unbeschrankten Bahnübergang schaut ein Autofahrer, ein Zug in Ostbayern, seltenes Spektakel. Liebl steigt in Waldkirchen aus, Splitter fährt bis Passau. Einfahrt Gleis 1 A. Am Bahnsteig drängeln sich Touristen. Wer kann, setzt sich auf die rechte Seite.

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Quelle:
SZ vom 14.07.2018
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