Süddeutsche Zeitung

Gewalttaten in der Innenstadt:Jagdszenen in Nürnberg

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Tatort Nürnberger Südstadt: Zwei Neonazis machen Hatz auf einen dunkelhäutigen Deutschen. Es ist nur ein Ereignis in einer immer länger werdenden Liste brutaler Gewalttaten. Selbst die Ermittler sind fassungslos.

Olaf Przybilla

Canan K. brauchte einen Moment, um zu realisieren, was da gerade passiert. Ein Nachmittag in Nürnberg, sie schneidet einem Kunden gerade die Haare und plötzlich steht da ein dunkelhäutiger Junge in der Tür und fleht, man müsse ihm helfen, unbedingt. Kurz danach stehen zwei Männer mit Hund vor der großen Scheibe des Friseursalons.

Canan K. und ihrer Chefin gelingt es gerade noch, die Geschäftstür zu schließen. Nun aber stehen da diese Männer und trommeln an die Scheibe. Der eine, ein adretter 32-Jähriger mit kurzen Haaren, deutet nicht nur auf den Jungen im Laden. Er deutet auch an, dass er ihm die Kehle durchschneiden werde, sollte er ihn nur erwischen. Dann entblößt er seinen Oberarm und Canan K. blickt auf ein Sonnenrad, ein tätowiertes Hakenkreuz.

Die Hatz auf den Jungen hatte begonnen in der U-Bahnstation am Aufseßplatz in der Nürnberger Südstadt. Dort haben die Männer dem dunkelhäutigen Deutschen gedroht, sie werden ihn töten, sollte er nicht "aus Deutschland verschwinden". Der 16-Jährige flieht, zunächst in einen anderen Laden. Aber die beiden lauern ihm abermals auf und verfolgen ihn bis zum Friseurgeschäft "En Vogue" am Kopernikusplatz.

Es gibt das eine Zentrum in Nürnberg, das mit der Kaiserburg, das man von Postkarten kennt. Und es gibt ein zweites Zentrum, rund um Kopernikus- und Aufseßplatz. Auch hier gibt es einen Kaufhof und eine Fußgängerzone. Die Großeltern der Käufer aber wurden hier mehrheitlich in der Türkei geboren oder in Russland.

Das ist es, sagt die Friseurin Canan K., was sie am meisten verstört hat an diesem Nachmittag: Dass da zwei erwachsene Neonazis Hatz machen auf einen 16 Jahre alten Dunkelhäutigen, am helllichten Tag und in einer Umgebung, "in der wir Migranten ja grundsätzlich in der Überzahl sind". Sie hätte das nicht für möglich gehalten.

Jetzt aber, eine Woche nach der Hatz, hat sie nicht nur einen Blumenstrauß, eine Schachtel Pralinen und die Visitenkarte eines örtlichen Bundestagsabgeordneten im Laden liegen, als Zeichen der Dankbarkeit für ihre Hilfe. Sie hat sich auch ein Instrument zur Selbstverteidigung besorgt, auf das sie zugreifen kann, während sie Haare schneidet.

Es war nicht der erste Übergriff eines Neonazis in diesen Tagen in Nürnberg. Genau einen Tag vor der Hatz in der Südstadt hat die Nürnberger Staatsanwaltschaft Anklage erhoben gegen einen 24-jährigen Rechtsextremisten aus Fürth. Laut Anklage hat er in der Nürnberger U-Bahnstation Plärrer einen 17Jahre alten Migranten ins Koma geprügelt und getreten.

Auslöser der Tat des Neonazis war aus Sicht der Ankläger dessen "Hass auf die linke Szene" und die "Verärgerung über die Kritik an der Kleidung der Freundin" des Täters. Sie trug eine Brusttasche der Marke "Thor Steinar", die in der Szene als Erkennungsmerkmal von Rechtsradikalen gilt. Nach der Tat entdeckte die Polizei in der Wohnung des Schlägers ein Hitler-Bild und eine Kerze mit Hakenkreuz. Der 24-jährige Kampfsportler wird sich wegen versuchten Totschlags verantworten müssen. Auch der 32-jährige Arbeitslose mit dem tätowierten Sonnenrad wurde inzwischen gefasst, er gilt als Hauptverdächtiger der Hatz auf den Jungen.

"Eine Schneise durch die Stadt geschlagen"

Die Vorfälle sind beileibe nicht die einzigen Taten im öffentlichen Raum, die momentan für Aufsehen sorgen in Nürnberg. Wer sich mit erfahrenen Ermittlern unterhält, blickt in fassungslose Gesichter. Eben erst haben die Beamten eine Gewaltserie aufgeklärt, die ein Ermittler "beispiellos" in der Halbmillionenstadt nennt. Vor sechs Wochen waren sechs junge Migranten durch die Innenstadt gezogen und hatten wahllos Passanten verprügelt. "Die haben sich regelrecht eine Schneise durch die Stadt geschlagen", sagt ein Beamter.

An vier Tatorten hat die Gang insgesamt acht Opfer verletzt, zwei schwebten in Lebensgefahr. Erst im Lauf der Ermittlungen stellten die Beamten fest, dass die Eskalationen in der City allesamt auf das Konto derselben Gang gehen. Fünf der sechs Täter sind nun in Untersuchungshaft, darunter auch ein ehemaliger bayerischer Box-Jugendmeister im Fliegengewicht. Ein Motiv können die Schläger nicht nennen.

Keine Woche nach der Festnahme verhaftete die Polizei abermals zwei Schläger in der City. Auch sie haben kein Motiv, auch sie setzten zu einer Serie an und wieder traf es Passanten, die sich zur falschen Zeit am falschen Ort aufgehalten haben. Die Brille eines der Opfer versenkten die Schläger in der Pegnitz. Beide sind Deutsche, beide sind arbeitslos und polizeibekannt. Am Mittwoch schließlich wurde ein 29-Jähriger zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt.

Der einschlägig Vorbestrafte hatte Gäste in der S-Bahn mit Tritten malträtiert, und auch weiter getreten, nachdem er einem der Opfer die Kniescheibe gebrochen hatte. Mit seinem Urteil ging Amtsrichter Volkmar Kanz über den Antrag der Staatsanwaltschaft hinaus. In seiner Begründung erklärte er, man müsse "diesen ständigen Schlägereien mit Tritten auf liegende Menschen etwas entgegensetzten".

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SZ vom 28.08.2010
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