Süddeutsche Zeitung

Gesundheitsreport:Jedes vierte Kind in Bayern ist chronisch krank

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Von Dietrich Mittler, München

Im Vergleich zum Bundesdurchschnitt sind Bayerns Kinder und Jugendliche zwar gesünder, doch zur Entwarnung besteht kein Anlass. Wie aus dem neuen Kinder- und Jugendreport der Deutschen Angestellten-Krankenkasse (DAK) hervorgeht, ist "jedes vierte Kind in Bayern körperlich chronisch krank", oder es leidet zumindest an einer Erkrankung, die chronisch zu werden droht. Darunter fallen etwa Beschwerden wie Neurodermitis, Asthma oder auch Entzündungen des Magen-Darm-Trakts. Und: "Knapp jedes zehnte Kind leidet an einer psychischen Erkrankung mit potenziell chronischem Verlauf", erklärten Vertreter der Krankenkasse am Dienstag. Jungen seien dabei in der Regel häufiger betroffen als Mädchen.

Auch Rückenschmerzen sind offenbar unter Bayerns Kindern und Jugendlichen "ein vergleichsweise verbreitetes Gesundheitsproblem", in verstärktem Maße bei den Mädchen. "Das ist alarmierend", sagte Sophie Schwab, die Chefin der DAK-Landesvertretung. Schwabs Befürchtung: "Frühe Muskel-Skelett-Probleme können im Erwachsenenalter schwere Rückenleiden nach sich ziehen." Ein weiteres Leiden sei krankhaftes Übergewicht. Über alle Altersgruppen hinweg sind davon 2,7 Prozent der Kinder und Jugendlichen betroffen. Deren Abrechnungsdaten aus dem Jahre 2016 wurden jetzt von Wissenschaftlern der Universität Bielefeld ausgewertet.

"Die Universität Bielefeld hat für uns einen ungeheuren Datenschatz gehoben", sagte Schwab bei der Vorstellung des Bayern-Gesundheitsreports, für den die Daten von mehr als 83 000 bei der DAK versicherten Kindern und Jugendlichen bis zum Alter von 17 Jahren ausgewertet wurden - und auch künftig ausgewertet werden sollen, um noch mehr Erkenntnisse über Krankheitsverläufe gewinnen zu können. Die aktuelle Studie zeigt bereits jetzt auf, dass stark übergewichtige Kinder einem verstärkten Risiko ausgesetzt sind, an einer Depression zu erkranken - "um das bis zu Dreifache gegenüber normalgewichtigen Kindern". Und hieß es bislang oft, Landkinder, die in Feld, Wald und Wiesen unterwegs seien, hätten weniger Probleme mit Allergien, so kommen die Bielefelder Wissenschaftler nun zu einem ganz anderen Schluss. In ländlichen Gebieten litten Kinder im Vergleich zu den Stadtkindern sogar "häufiger unter einer akuten Bronchitis (plus 18 Prozent) oder unter Allergien (plus 13 Prozent)".

Was der Volksmund oftmals Stadtkindern an Beschwerden zuspricht, deckt sich allerdings weitgehend mit den Ergebnissen des neuen Berichts. Dort heißt es etwa: "In städtischen Regionen trafen bei Kindern und Jugendlichen 18 Prozent mehr Verhaltensstörungen, aber auch mehr Entwicklungsstörungen auf." Auch Viruserkrankungen oder Depressionen wurden demnach unter Stadtkindern deutlich häufiger dokumentiert und behandelt.

"Wichtige Themen sind auch Schulangst, Schulphobie und Depressionen"

Für die Taufkirchener Kinder- und Jugendärztin Brigitte Dietz, die am Dienstag für die DAK die Studie mit ihren Erfahrungen aus der täglichen Praxisarbeit abglich, sind die Erkenntnisse nicht überraschend. "Auf dem Land gibt es weit mehr Gräser, Sträucher und Bäume, deren Pollen allergische Reaktionen auslösen können", sagte sie. Und dass die häufigste Erkrankungsart bei Bayerns Jungen und Mädchen die Atemwegserkrankungen sind (54,2 Prozent), gefolgt von den Infektionskrankheiten (35,2 Prozent), ist für Dietz ebenso logisch. Mit verantwortlich für diese Entwicklung sei ein gesellschaftlicher Wandel: "Die Mütter gehen früher wieder arbeiten, die Kinder kommen früher in die Krippe, und dort stecken sie sich mit allen möglichen Krankheiten an", sagte Dietz. Bei Krippen-Kindern seien, so ihre Erfahrung, "acht bis zehn banale Infekte pro Saison" die Regel. Heißt: Gut alle zwei Wochen seien die Kinder krank, und die berufstätigen Mütter riefen dann oft in der Praxis an, um die Dokumente für den Antrag auf ein Krankentagegeld zu bekommen.

Zugenommen haben im Berufsalltag von Dietz indes auch die Begegnungen mit Kindern und Jugendlichen, die unter psychischen Problemen leiden. "Ein wichtiges Thema sind da die Schulangst, die Schulphobie sowie die Depressionen", sagte sie. Vielfach wüssten die jungen Patienten gar nicht, was ihnen wirklich fehle. "Oft kommen die mit Bauch- und Kopfschmerzen in die Praxis", so Dietz. Künftig müssten weit mehr Psychologen sowie auch Psychiater an Bayerns Schulen zum Zuge kommen. Auch deshalb: In Bayern werden laut DAK-Report im Vergleich zum bundesweiten Schnitt 18 Prozent mehr Fälle von Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) dokumentiert - bei Buben häufiger als bei Mädchen.

Soziale Faktoren spielen auch bei anderen Erkrankungen oft eine erstaunliche Rolle. So etwa haben im Vergleich zu den Landkindern 91 Prozent mehr Kinder aus der Stadt Probleme mit Zahnkaries, insbesondere aber die aus ärmeren Familien. Auch bei Adipositas spiele das Vorbild der Eltern eine große Rolle.

Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU) reagierte am Dienstag auf den DAK-Bericht mit einem Appell: "Wenn Mütter und Väter ein gesundheitsförderliches Verhalten vorleben - ich denke hier zum Beispiel auch an das regelmäßige Zähneputzen - dann verinnerlichen Kinder dies ganz selbstverständlich und ohne Mühe."

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Quelle:
SZ vom 20.03.2019
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