Süddeutsche Zeitung

Genbank für Pflanzen:Die Rettung des Vergissmeinnicht

  • 2727 Gefäßpflanzen gibt es im Freistaat. 1170 von ihnen gelten als gefährdet.
  • Damit diese Pflanzen nicht verloren gehen, wurde 2009 die Genbank Arche gegründet; mit einer halben Million Euro hat der Freistaat das Projekt gefördert.
  • Die Zukunft ist ungewiss, wenn die Förderung ausläuft.

Von Tina Baier

Irgendwo in Oberfranken gibt es einen Ort, an dem das Ackerwildkraut Orlaya grandiflora wächst. Die Stelle misst nur drei mal drei Meter und ist die einzige in ganz Bayern, wo diese Pflanze, die auf Deutsch Strahlen-Breitsamen heißt, noch vorkommt. Um Orlaya vor dem Aussterben zu retten, haben Wissenschaftler der Genbank Bayern Arche ihre Samen gesammelt, getrocknet und bei minus 18 Grad Celsius eingefroren. Im Frühjahr sollen daraus neue Pflanzen gezogen, vermehrt und wieder ausgesät werden.

Der Strahlen-Breitsamen ist die 500. Pflanzenart, die die Wissenschaftler der Genbank an der Universität in Regensburg in ihre Gefriertruhen eingelagert haben, weil sie wie Orlaya grandiflora vom Aussterben bedroht sind. 2727 Gefäßpflanzen gibt es im Freistaat. 1170 von ihnen gelten als gefährdet, das sind 42,9 Prozent. Damit diese Pflanzen nicht verloren gehen, wurde 2009 die Genbank Arche gegründet; mit einer halben Million Euro hat der Freistaat das Projekt gefördert.

"Lebensversicherung" für seltene Pflanzen

Die Genbank sollte eine Art Lebensversicherung für seltene und gefährdete Wildpflanzen sein. Doch jetzt ist das Projekt selbst in Gefahr. Ende März 2015 läuft die Finanzierung aus. "Wenn sich niemand mehr um die eingelagerten Samen kümmert, sterben sie irgendwann", sagt Martin Leipold, einer der Koordinatoren der Genbank Arche. "Dann war die Arbeit der vergangenen fünf Jahre vergebens." Noch im Mai 2013 hatte der damalige Umweltminister Marcel Huber (CSU) anlässlich einer Preisverleihung der Vereinten Nationen über die Genbank gesagt: "Die Genbank wird in Deutschland als Leuchtturmprojekt wahrgenommen." Zu Recht.

Denn landesweit gibt es zwar mehrere Sammlungen für Nutzpflanzen, aber kaum welche für Wildpflanzen. Neben der Bayern Arche kümmert sich darum nur noch die "Loki Schmidt Genbank" in Osnabrück. Was soll nach Ablauf der Frist im März aus der Arche werden? Es sei "eine Verlängerung von einigen Monaten geplant", heißt es aus dem zuständigen Landesamt für Umwelt (LfU). Das Geld dafür stammt aus Rücklagen der Arche. Für eine weitere Förderung sei "durch die Universität Regensburg insbesondere eine Bundesförderung zu prüfen", heißt es beim LfU. Doch dass der Bund ein rein bayerisches Projekt fördert, ist mehr als unwahrscheinlich.

78 heimische Pflanzenarten sind in Bayern ausgestorben oder gelten als verschollen. Der Moorsteinbrecht etwa wächst bayernweit nirgendwo mehr; ebenso wenig der Ackermeier und das Sumpfjohanniskraut. Ursache für die schwindende Artenvielfalt ist in vielen Fällen die intensive Landwirtschaft. Früher wuchsen auf den Feldern neben den Nutzpflanzen auch einige Kräuter, deren Samen mit dem Saatgut der Bauern vermischt waren. Heute schafft es aufgrund hoch technisierter Verfahren kein einziger fremder Samen mehr, sich unter das Saatgut zu schummeln.

Untersuchungen vor der Zucht

Manchmal gelingt es Naturschützern, eine Art in letzter Sekunde zu retten. Ein Beispiel ist das blaue Bodensee-Vergissmeinnicht. Ähnlich wie der Strahlen-Breitsamen wuchs die Pflanze mit den kleinen blauen Blüten nur noch an einem einzigen Ort im Freistaat zwischen Steinen am Ufer des Bodensees. Eines Tages waren die blauen Blumen weg - regelrecht erschlagen von Treibholz, das ans Ufer gespült worden war. Das Umweltamt rief die Botaniker der Regensburger Uni zu Hilfe. Sie nahmen Bodenproben von der Stelle, an der das Vergissmeinnicht gewachsen war, und durchsiebten die Erde auf der Suche nach lebensfähigen Samen. Sie fanden wenige: 17 davon konnten sie zum Keimen bringen und im botanischen Garten in Regensburg anpflanzen. Auch am Bodensee-Ufer siedelten sie die seltene Pflanze wieder an.

Bevor sie die Samen einfrieren, testen die Wissenschaftler, ob diese lebensfähig sind. Würde es sich nicht um extrem seltene Pflanzen handeln, könnte man für diesen Test Samen zum Keimen bringen oder sie aufschneiden und untersuchen. Doch die Regensburger Naturschützer wollen keinen einzigen der seltenen Samen verlieren und machen deshalb Röntgenaufnahmen. Auf den Bildern ist zu sehen, ob die Samen gut gefüllt und gesund sind.

Um in Notfällen schnell handeln zu können, haben die Wissenschaftler auch untersucht, unter welchen Bedingungen Samen am besten keimen. 330 Arten haben sie getestet. Das Spießblättrige Tännelkraut etwa keimt nur, wenn seine Samen stark schwankenden Temperaturen ausgesetzt sind. In der Natur signalisieren die Warm-Kalt-Unterschiede den Samen, dass sie an einer Stelle liegen, an der es keine isolierende Laubschicht und damit keine anderen Pflanzen gibt, die dem Keimling Konkurrenz machen. "Lücken-Detektionsmechanismus" heißt dieses Phänomen. Samen der Lilienblättrigen Becherglocke und des Sumpf-Siegwurz müssen eingefroren werden, um zu keimen. Auch in der Natur brauchen diese Pflanzen eine mehrwöchige Kältephase. "Die warmen Winter der vergangenen Jahre könnten für solche Pflanzen zum Problem werden", sagt Leipold.

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Quelle:
SZ vom 24.12.2014/vewo
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