Süddeutsche Zeitung

Finanzskandal in der Katholischen Kirche:Wie ein Vermögensverwalter ungestört Millionen verspielen konnte

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Von Nicolas Richter und Katja Riedel, München

Als im achten Jahrhundert die erste Eichstätter Bischofskirche entsteht, als im elften Jahrhundert der heutige Dom in die Höhe wächst, da ist Amerika noch gar nicht entdeckt worden. Das Bistum Eichstätt hat eine lange Geschichte und es hat im Lauf der Jahrhunderte ein Vermögen angehäuft. Allein die Geldanlagen sind heute 300 bis 350 Millionen Euro wert. Dass dann zwei Jahre reichen, um einen guten Teil dieses Geldes zu vernichten und der katholischen Kirche den nächsten massiven Finanzskandal zu bescheren, dürfte auch mit Traditionen zu tun haben, in denen das Bistum lange verharrt hat.

Eichstätt liegt nördlich von Ingolstadt und ist eines der kleineren deutschen Bistümer, es untersteht Bischof Gregor Maria Hanke, dessen Wahlspruch "Unser Glaube ist unser Sieg" lautet. Für die finanziellen Angelegenheiten - unter anderem den Jahresetat von bis zu 150 Millionen Euro - beschäftigt der Bischof einen Finanzdirektor, aber wie so oft bewahrheitet es sich auch hier, dass der Chef nicht unbedingt die größte Ahnung hat. Der Finanzdirektor nämlich ist ein Geistlicher, der sich mit Finanzen nicht so richtig auskennt. Die Geldanlagen überlässt er also lieber einem weltlichen Mitarbeiter, einem Experten also, der von außen kommt.

Im Jahr 2014 übernimmt ein Neuer diesen Posten. Er hat sich ein paar Monate zuvor bereits als externer Anlageberater bewährt, da hat er im Auftrag der Diözese zwei Millionen Dollar in den USA investiert, in ein Immobilienprojekt, in dem das Geld ganz gewöhnlich mit einer Grundschuld abgesichert ist. Sein Ansprechpartner auf der anderen Seite des Atlantiks ist ein deutscher Geschäftsmann, der von Texas aus agiert. Es sieht aus nach einer seriösen transatlantischen Kooperation zugunsten der Diözese, die damit ein bisschen von der oberbayerischen Provinz in die große weite Welt vorstößt.

Der neue Vermögensverwalter der Diözese vertieft die Zusammenarbeit mit dem Geschäftsmann in Texas von 2014 an immer mehr. Doch die Darlehen ändern sich in einem wesentlichen Punkt: Zwar vergibt die Diözese weiter Millionenkredite an US-Firmen, die Immobilien entwickeln, doch sind die Kredite fortan nicht mehr durch Grundpfandrechte abgesichert. Die Kirche hat keinerlei Sicherheit in der Hand, falls das Projekt scheitert. Dies ist Spekulation mit hohem Risiko, was keinesfalls den konservativen Anlagezielen einer Diözese entspricht, wie der Kirchenbezirk später selbst feststellen wird.

In den folgenden zwei Jahren wird der neue Mitarbeiter der Diözese nach Informationen von Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR gleichwohl 30 Darlehen an US-Firmen vergeben, mit einem Volumen von mehr als 60 Millionen Dollar. Der einzige Vermögenswert, den diese US-Firmen besitzen, ist laut Diözese die jeweilige, noch zu entwickelnde Immobilie. Meist sind die Kredite auf zwei bis fünf Jahre angelegt, die Rückzahlung ist erst ganz am Schluss fällig, die Zinsen ebenso. Es vergeht also viel Zeit, bis sich abzeichnet, ob die Schuldner überhaupt etwas zurückzahlen.

Möglicherweise ist das Geld verloren. Allein die bisherigen Ausfälle oder Zahlungsrückstände liegen bei 20 Millionen Dollar, die Staatsanwaltschaft München II beziffert die Schadenssumme sogar schon auf 56 Millionen Dollar. Zum Vergleich: Bei der Formel-1-Affäre, die vor Jahren die Bayerische Landesbank erschütterte, ging es um 50 Millionen. Die Staatsanwaltschaft, die auf Bitten der Diözese seit dem Sommer vergangenen Jahres ermittelt, hat Ende Januar zwei Verdächtige festnehmen lassen, sie sitzen seitdem in Haft. Eine der zentralen Fragen, die von der Justiz nun zu klären ist, lautet: Ist die Kirche bloß ein Opfer mutmaßlicher Verbrecher oder hat sie das Fiasko teilweise selbst ermöglicht?

Es ist nicht der erste Finanzskandal in der katholischen Kirche, aber selten sind die Ursachen so sichtbar wie in diesem Fall. Da sind zum einen enorme Vermögenswerte: Die Diözese verfügt über Finanzanlagen in Höhe von 300 bis 350 Millionen Euro. Und da ist zum zweiten ein eklatanter Mangel an hauseigener Kompetenz und Aufsicht. Vorgesetzter des dubiosen Vermögensverwalters ist von 2014 bis 2016 der Finanzdirektor der Diözese, auch "Ökonom" genannt.

Nach Darstellung der Kirche ist der Eichstätter Finanzdirektor mit den Geldanlagen in Amerika heillos überfordert. Die Verträge sind auf Englisch, und als anwendbares Recht ist das texanische vereinbart. In ihrer Strafanzeige erklärt die Diözese später, die dubiosen Investments seien nur möglich gewesen, weil der Chef in Eichstätt die wirtschaftlichen und rechtlichen Risiken "noch nicht einmal ansatzweise beurteilen konnte".

Zwar gibt es zusätzlich noch einen Diözesanvermögensverwaltungsrat, in dem neben kirchlichen Würdenträgern ein externer Rechtsanwalt sitzt. Doch der Rat bekommt von der sich anbahnenden Katastrophe nichts mit, vielleicht auch deswegen, weil er nicht kritisch genug fragt.

Im Sommer 2016 reist eine Delegation nach Texas, um die Spur des Geldes zu verfolgen

Wäre es also ungebremst so weitergegangen, hätte die Diözese am Ende sogar noch viel mehr Geld verspielen können. Im Herbst 2015 aber entscheidet Bischof Hanke, eine "Transparenzoffensive" umzusetzen, wie sie Diözesen aus ganz Deutschland vereinbart haben. Zum ersten Mal sollen sämtliche Vermögenswerte nach den Maßstäben des Handelsgesetzbuches bewertet werden - so als sei die Kirche eine gewöhnliche Firma. Alsbald rücken in Eichstätt professionelle Wirtschaftsprüfer an und untersuchen, wie das beträchtliche Vermögen angelegt ist.

Im Frühjahr 2016 stoßen sie auf Dutzende ungesicherte Darlehen, die von der Diözese an US-Firmen vergeben worden sind. So wie es aussieht, hat der hauseigene Vermögensverwalter die Darlehen bloß auf Zuruf des Investors in Texas vergeben: Aussagekräftige oder prüffähige Dokumente über die Immobilienprojekte seien aus Amerika nicht übermittelt worden, erklärt die Diözese später in einer Strafanzeige. Regelmäßig, bemerkt sie, habe es sich allenfalls um allgemein gehaltene Anpreisungen und nicht überprüfbare Projektangaben gehandelt.

Wie ernst die Lage ist, zeigt sich daran, dass ein Vertreter der Diözese sowie mehrere externe Wirtschaftsprüfer von Deloitte im Sommer 2016 nach Texas reisen, um die Spur des Geldes zu verfolgen. Sie kehren ohne nützliche Erkenntnisse zurück.

Mittlerweile ist die Diözese der Ansicht, dass sie Opfer eines Verbrechens geworden ist. Sie vermutet, dass sich der Geschäftsmann in Amerika und der hauseigene Vermögensverwalter verbündet haben, um die Kirche auszunehmen. Der Mann in Texas sei "unmittelbar und offen" am geschäftlichen Erfolg der US-Firmen beteiligt gewesen, die von der Diözese Eichstätt Geld in Millionenhöhe geliehen bekamen. Der eigene Vermögensverwalter sei ebenfalls an manchen dieser Firmen beteiligt gewesen, nur eben verdeckt, um den strafbaren Interessenkonflikt zu verbergen.

Der kirchliche Angestellte in Eichstätt habe sich also - jenseits seines Gehalts - eine "lukrative Erwerbsquelle" geschaffen und anschließend mit einer "bewussten Verschleierungstaktik" seine Taten zu verheimlichen versucht. So steht es in der 44-seitigen Strafanzeige, welche die Diözese im Juli 2017 bei der Staatsanwaltschaft München II erstattet. Die beiden Beschuldigten sitzen nunmehr in Haft, ihre Verteidiger äußern sich nicht zu den Vorwürfen. Beide Anwälte wollten sich zunächst mit ihren Mandanten beraten und die Akten sichten.

Der Skandal hat schon jetzt zu Umwälzungen geführt. Der hauseigene Vermögensverwalter wurde Ende 2016 entlassen. Der Finanzdirektor der Diözese ist Ende 2016 angeblich auf eigenen Wunsch zurückgetreten, um der "Neugestaltung der zukünftigen Governance-Strukturen nicht im Wege zu stehen". Und der Vermögensverwaltungsrat ist in der Zwischenzeit komplett neu besetzt worden, diesmal mit mehreren erfahrenen, externen Kaufleuten. Der Preis für den Lernprozess allerdings ist enorm. Die Diözese hat daran erinnert, dass eine der reichsten Organisationen Deutschlands bis heute ihr Geld so verwaltet wie im achten Jahrhundert.

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SZ vom 06.02.2018
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