Süddeutsche Zeitung

Brauchtum:Ein dreifach Hoch auf den Zwiefachen

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Von Hans Kratzer, München

Viele Gemeinden in Bayern vernachlässigen ihr kulturelles Erbe mit geradezu sträflichem Leichtsinn. Um das zu erkennen, reicht schon ein kurzer Blick auf die Straßennamen in bayerischen Siedlungen. Über Jahrhunderte hinweg hatten die Fluren und Felder unverwechselbare Namen getragen. In Zeiten ohne Navigationsgeräte steckten Flurnamen wie Beunde, Fronwiese, Teufelsgraben und Galgenbichel den Besitz ab, überdies dienten sie der Orientierung. Leider sind viele dieser alten Namen in Vergessenheit geraten, und zwar vorsätzlich und aus Ignoranz.

Würden die Straßen in den Neubau-Siedlungen des Freistaats nach den alten Flurnamen benannt werden, könnten sie fortleben, den Siedlungen ein individuelleres Erscheinungsbild verleihen und ein stärkeres Bewusstsein für das eigene Lebensumfeld schaffen. Die Gemeinderäte aber sind, was die Flurnamen betrifft, von einem merkwürdigen Desinteresse geplagt. Lieber nennen sie ihre Siedlungsstraßen zum hunderttausendsten Mal nach einem Berg, einem Komponisten oder einem Dichter, als sich in der Schatztruhe der Flurnamen zu bedienen.

Ein bisserl Hoffnung besteht trotzdem noch, denn am Donnerstag hat der rührige Verband für Orts- und Flurnamenforschung in Bayern von höchster Stelle Anerkennung erfahren und ist - so sperrig das auch klingen mag - in das neu geschaffene "Bayerische Register Guter-Praxisbeispiele der Erhaltung des immateriellen Kulturerbes" aufgenommen worden. Immerhin existiert nun eine Plattform, auf der künftig "vorbildhafte Projekte zur Erhaltung unseres immateriellen Kulturerbes deutlich wahrnehmbar gewürdigt werden", wie Kunstminister Ludwig Spaenle diesen Fortschritt beim Festakt in der Münchner Residenz blumig beschrieb.

Anlass der feierlichen Veranstaltung war die Aufnahme von zehn Traditionen und Bräuchen aus dem Freistaat in das Bayerische Landesverzeichnis des immateriellen Kulturerbes. Dieses Verzeichnis ist erst im vergangenen Jahr nach den Vorgaben der Unesco eingerichtet worden. Mit seiner Hilfe soll der Reichtum der kulturellen Ausdrucksformen in Bayern dokumentiert und das Bewusstsein der Menschen dafür geschärft werden, wie Spaenle sagte.

Im Vorjahr sind die ersten 13 Eintragungen erfolgt. Zum immateriellen Kulturerbe des Freistaats wurden damals zum Beispiel das Reinheitsgebot, der Kötztinger Pfingstritt, der Further Drachenstich und das Dokumentarspiel Landshuter Hochzeit von 1475 erhoben. Zu den Traditionen und Bräuchen, die jetzt aufgenommen wurden, zählen exotisch klingende, aber kulturhistorisch hochspannende Phänomene wie das Feldgeschworenenwesen in Bayern. Auf dem Land ist diese Einrichtung unabdingbar. Gruppen von typischerweise sieben Feldgeschworenen ("Siebener" genannt) wachen dort bereits seit Jahrhunderten über die Einhaltung von Grundstücksgrenzen und sorgen durch Grenzsteinsetzung für deren Sichtbarkeit.

Ein Tanz, der Verwirrung stiftet

Ein Parade-Phänomen bayerischer Lebensart und Lebenslust ist der ebenfalls ins Verzeichnis aufgenommene Zwiefache, eine Musikgattung, die erstmals um 1740 herum Erwähnung fand. Der Zwiefache wird sowohl musiziert und getanzt als auch gesungen. Sein Reiz liegt im Wechsel zwischen Dreivierteltakt (Walzer) und Zweivierteltakt (Dreher). Walzer und Dreher wechseln sich aber bei jedem Stück unterschiedlich ab, was bei Tänzern und Tänzerinnen bisweilen Verwirrung stiftet. Manchmal werden sie von tratzerten Musikern bewusst aufs Glatteis geführt. Der bis heute populärste Zwiefache trägt den Titel "Unser oide Kath", er ist leicht zu spielen und zu händeln und ein idealer Einstieg in das faszinierende Reich des Zwiefachen, dem selbst die Globalisierung bislang nichts anhaben konnte.

Farbenfrohe Relikte aus der reichen bäuerlichen Vergangenheit Altbayerns sind der Georgiritt und der historische Schwerttanz in Traunstein, die jeweils - und nicht selten bei heftigem Schneetreiben - am Ostermontag stattfinden. Ähnliche Wetterkapriolen erlebt in der Regel die Tölzer Leonhardifahrt am 6. November. Mit mehr als 80 prächtig geschmückten Vierergespannen führt die Wallfahrt zu Ehren des heiligen Leonhard seit 1772 hinauf zum Kalvarienberg. Sie zeigt aber auch idealtypisch den Wandel von der aus existenzieller Not erschaffenen bäuerlichen Bitt- und Dankprozession zum modernen Touristenspektakel.

Bräuche, die Bayern prägen

Kunstminister Ludwig Spaenle hob in seiner Festrede die Vielzahl an lebendigen Traditionen wie Musik, Tanz, Bräuchen, Festen und Handwerkstechniken hervor, die den Kulturstaat Bayern prägten. Die Aufnahme in das Landesverzeichnis bezeichnete er als "ein Zeichen der Wertschätzung für das zumeist ehrenamtliche Engagement für den Erhalt und die Weitergabe von Traditionen und Bräuchen, die Bayern im Innersten zusammenhalten."

Die Entscheidung, wer in das Verzeichnis aufgenommen wird, trifft ein achtköpfiges Expertengremium unter der Leitung des Regensburger Kulturwissenschaftlers Daniel Drascek. Dazu werden sämtliche Bewerbungen intensiv begutachtet. Eine besondere Rolle spielen hierbei die maßgeblichen Kriterien des Unesco-Übereinkommens wie zum Beispiel Alter, Wandel und Tradierung der Bräuche. Auch die Trägergruppe sowie Bedeutung, Gefährdung sowie Kommerzialisierung fließen bei der Bewertung mit ein.

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SZ vom 12.11.2016
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