Süddeutsche Zeitung

Historischer Kriminalfall:Knecht wird beim Kammerfensterln erschlagen

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Bevor Josef Felber in die Schlafkammer einer Magd einsteigen kann, wird er aus Rache von einem ehemaligen Kollegen mit einem Prügel tödlich verletzt. Heimatforscher Ernst Keller hat wieder einmal in der Bayerischen Staatsbibliothek recherchiert.

Von Peter Becker, Fahrenzhausen

Am Morgen des 26. Juli 1858 findet ein Ortsbewohner von Appercha, heute Gemeinde Fahrenzhausen, im Garten des "Altnerbauern" einen Burschen bewegungslos im Grase liegend. Als er näher an ihn herantritt, stellt er fest, dass dieser nicht, wie zunächst angenommen, betrunken ist, sondern bewusstlos und wegen sichtbarer Spuren am Kopf offenbar brutal niedergeschlagen worden war. Obwohl ein Arzt herbeigerufen wurde, der sich fürsorglich um den Verletzten kümmerte, starb Dienstknecht Joseph Felber aus Jarzt am nächsten Tag an seinen schweren Kopfverletzungen. So beginnt der historische Kriminalfall, den Heimatforscher Ernst Keller in der Bayerischen Staatsbibliothek recherchiert hat.

Der mutmaßliche Täter ist rasch gefunden. Es handelt sich um den 26-jährigen Dienstknecht Martin Huber aus Kranzberg. Bereits im Dezember desselben Jahres findet er sich wegen "des Verbrechens der vorsätzlichen Körperverletzung mit nachgefolgtem Tode" vor dem Schwurgericht in München wieder.

Dem Königlichen Staatsanwalt von Reichert gelingt es, den Tathergang zu rekonstruieren. Demnach standen Huber und Felber zunächst in Diensten des "Schuhbauern" Andreas Schreiber zu Appercha. Eigentlich kommen beide gut miteinander aus, doch Felber stört sich an der Prahlsucht von Huber. Der lässt keine Gelegenheit aus, seine "Anstelligkeit, Kraft und Tüchtigkeit" hervorzukehren. Felber beschließt, seinem Kollegen einen Denkzettel zu verpassen. Am 11. Juli 1858 bricht er auf dem Heimweg vom Wirtshaus mit dem verhassten Angeber einen Streit vom Zaun. Bei der anschließenden Rauferei streckt er Huber mit roher Gewalt zu Boden. Das beherzte Eingreifen einiger Burschen verhindert Schlimmeres.

Der Dienstherr, Andreas Schreiber, jagt Felber von seinem Hof. Dem in seinem Stolz gekränkten Huber reicht das nicht. Er sinnt auf Rache. Am 25. Juli war es dann soweit. Ein als Ersatz für Felber angestellter Knecht hatte herausgefunden, dass Felber noch in derselben Nacht zum Kammerfensterln bei Barbara Schreiber, Dienstmagd beim "Sedlmaierbauern" gehen wollte. Huber hatte sich schon zum Schlafen hingelegt, springt bei dieser Nachricht aber sofort aus seinem Bett. Mit den Worten "Dann ist's schon recht" steht er auf und zieht sich an.

Ohne Vorwarnung schlägt Huber mit dem Knüppel zu

Huber besorgt sich einen etwa 1,30 Meter langen und knapp vier Zentimeter dicken Prügel aus Fichtenholz. Beide Knechte machen sich "zu einem nächtlichen Spaziergang" auf den Weg. Tatsächlich sehen sie beim "Sedlmaierbauern" eine Gestalt, die sich am Kammerfenster der Magd zu schaffen macht. Es ist Josef Felber. Fluchend eilt Huber herbei und schlägt ohne Vorwarnung zu. Felber stürzt, wie vom Blitz getroffen, zu Boden. Als er versucht, sich blutüberströmt aufzuraffen, folgen zehn weitere Schläge. "Der Bayerische Landbote" schreibt: "Laut Aussagen von Zeugen waren die Hiebe auf den Kopf von solcher Kraft geführt, dass das Aufprallen derselben selbst in größerer Entfernung gehört wurde."

Erst jetzt erkennt der zweite Knecht den Ernst der Lage und zieht Huber von seinem Opfer weg. Die wohl letzten Worte seines Lebens, die Felber stammelnd hervorbrachte, lauten: "So Martl, jetz hob i meinen Teil, jetz langt's scho!" Mit letzter Kraft schleppt er sich auf die Dorfstraße und bricht im Garten des "Altnerbauern" bewusstlos zusammen. Die vom königlichen Landgericht Freising angeordnete "Leichenöffnung" ergibt den Befund, dass das eingeschlagene rechte Schläfenbein etwa zwei Zentimeter ins Hirn eingedrungen war. Im Inneren des Schädels hatte sich ein bedeutender Bluterguss gebildet. "Dieses Blut drückte fortwährend auf das Gehirn und bewirkte dadurch Entzündung und Brand, so dass der Tod die notwendige und unmittelbare Folge war", lautet der Befund des Gerichtsmediziners.

Das Urteil fällt relativ milde aus. Staatsanwalt und Geschworene können das Gericht nicht davon überzeugen, dass der Angeklagte ob seiner heftigen Schläge den Tod seines Widersachers hätte voraussehen können. In Anbetracht seines guten Leumunds befindet das Gericht Huber zwar der "Freveltat und ausnehmenden Rohheit" für schuldig, verurteilt ihn aber nur zu fünf Jahren Arbeitshaus.

Der Auflistung Kellers zufolge kam es im 19. Jahrhundert in Appercha noch zu einigen weiteren Gewalttaten. In der Nacht vom 16. auf den 17. September 1840 schlug beispielsweise ein bis heute unbekannter Täter beim "Zaunbauern" Mathias Glas des Fenster zur Schlafkammer ein. Auf die Eheleute wurde geschossen, doch sie blieben unverletzt.

Am Sonntag, 5. Juni 1877, marschierte der bereits als "rauf- und händelsüchtig" bekannte, erst 16-jährige Josef Osterauer um 11 Uhr fluchend und lärmend über die Dorfstraße. David Barth, Sohn des "Jodlbauern", stellte ihn deshalb zur Rede. Josef Osterauer rammte ihm daraufhin ansatzlos und ohne Worte ein Messer in den Unterleib. Darm und Schlagader wurden durchstochen, so dass Barth auf der Straße verblutete. Der 16-Jährige wurde vom Schwurgericht nur zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt, weil er unter 18 Jahre alt war.

Tödlich endete am 17. Mai 1886 außerdem eine Auseinandersetzung beim Wirt zu Appercha. Während eines Tanzabends stach ein Bursche im Streit einen anderen nieder.

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