Süddeutsche Zeitung

Einwohner:Die Bayern werden wieder mehr

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Von Claudia Henzler, Fürth

Die Zukunft sah schon deutlich schlimmer aus. Nach der neuesten Prognose zur Bevölkerungsentwicklung in Bayern werden weniger Gebiete im Freistaat Einwohner verlieren, als das Landesamt für Statistik in den vergangenen Jahren angenommen hat - und auch die werden voraussichtlich weniger stark schrumpfen als bisher gedacht.

Der Landkreis Wunsiedel zum Beispiel, jedes Jahr Schlusslicht beim prognostizierten Bevölkerungswachstum, muss sich nach den neuesten Berechnungen darauf einstellen, in 20 Jahren 14,3 Prozent weniger Einwohner zu haben als heute. Das klingt zwar noch immer bedrohlich, aber vor einigen Jahren lag der vorausgesagte Verlust um einiges höher. 2011 waren die Statistiker davon ausgegangen, dass die oberfränkischen Randregion im Jahr 2031 nur noch 62 200 Einwohner haben würde. Inzwischen nehmen sie für dasselbe Jahr an, dass es gut 1500 Menschen mehr sein werden.

Die jährliche Bevölkerungsvorausberechnung des Landesamtes für Statistik basiert auf bisherigen Entwicklungen und plausiblen Annahmen darüber, wie diese sich in Zukunft fortsetzen werden. Sie sind eine wichtige Arbeitsgrundlage für Gesellschaft und Politik. Sie sind Vorhersagen, aber nicht unumstößlich. Innenminister Joachim Herrmann (CSU) betonte am Freitag bei der Vorstellung der Zahlen im Fürther Landesamt: "Vieles ist beeinflussbar." Er kündigte an, dass sich die Politik mit Förderprogrammen gegen die prognostizierten Entwicklungen stellen werde, um die Ballungsräume vor einer Überhitzung zu schützen und ländliche Gebiete zu fördern. Ziel müssten gleichwertige Lebensverhältnisse in allen Landesteilen sein, damit Firmen auch jenseits der Ballungsräume Arbeitsplätze schaffen und jungen Menschen sich dort niederlassen wollen.

Das Beispiel Statistisches Landesamt, das inzwischen mehr als 400 Arbeitsplätze von München nach Fürth verlagert hat und seinen Umzug im kommenden Herbst abschließen wird, zeigt aus Herrmanns Sicht, "wie wir Wachstum aus dem Ballungsraum München in die Region verlagern können". Die Ansiedlung der Behörde im ehemaligen Verwaltungsgebäude der Firma Quelle war ein Baustein in einem ganzen Bündel an Fördermaßnahmen für Nürnbergs um die Jahrtausendwende wirtschaftlich schwer gebeutelte Nachbarstadt. Herrmann zeigte sich besonders erfreut, dass es in der Zukunftsprognose für 2037 in ganz Mittelfranken keine Gebiete mit Bevölkerungsrückgang mehr gibt. "Das war vor einigen Jahren noch anders." Das Wachstum des Ballungsraums Nürnberg strahle auf den gesamten Regierungsbezirk aus.

Dass Bayern in den kommenden zwei Jahrzehnten laut den Voraussagen von derzeit 13 Millionen Einwohnern um 3,7 Prozent auf knapp 13,5 Millionen wachsen wird, liegt vor allem an der Zuwanderung. Denn die Zahl der Geburten steigt zwar seit 2012 wieder und hat 2017 sogar den höchsten Stand seit 1998 verzeichnet, aber die Statistiker gehen davon aus, dass in den nächsten 20 Jahren nicht nur mehr Bayern sterben als geboren werden, sondern dass die Schere weiter auseinandergeht. Nur für insgesamt acht Landkreise beziehungsweise kreisfreie Städte sagen sie einen sogenannten Geburtenüberschuss voraus. Das sind Regensburg und Erlangen sowie Eichstätt, Ingolstadt, Rosenheim, München, Erding und Freising mit Werten zwischen 0,2 und 7,5 Prozent. Oberbayern ist der einzige Regierungsbezirk, dessen Einwohnerzahl ohne Zuwanderung nicht zurückgehen, sondern stagnieren würde.

Der Innenminister hob bei der Pressekonferenz hervor, dass in den vergangenen zehn Jahren der Großteil der Neubürger aus dem EU-Ausland nach Bayern kam und dass Zuwanderung vor allem einen Gewinn für den Arbeitsmarkt bedeute. Die Neubürger würden die sozialen Systeme stärken, betonte Herrmann. Er sei sich sicher, "dass uns die Zuwanderung gelingen wird, weil die Menschen hier gebraucht werden". Im Schnitt werden jedes Jahr etwa 42 000 Zuwanderer aus dem Ausland und knapp 8000 Menschen aus anderen Bundesländern erwartet.

Die Neubürger werden eine gewaltige Veränderung nach dem heutigen Kenntnisstand nur verlangsamen, nicht aber nicht verhindern können: Die Bevölkerung wird immer älter. Wenn die geburtenstarken Jahrgänge aus der Wirtschaftswunderzeit nun nach und nach ins Rentenalter kommen, stehen die Sozialsysteme und die Kommunen vor einer großen Herausforderung. Derzeit sind 20,3 Prozent der Bevölkerung 65 Jahre oder älter. Im Jahr 2037 werden es voraussichtlich 26,6 Prozent sein. Auf hundert Personen im erwerbsfähigen Alter kommen dann 48,5 Rentner statt aktuell 33.

Die stark schrumpfenden Räume werden schneller altern, doch selbst die oberbayerischen Landkreise Freising, Eichstätt und Erding, die zurzeit mit 41 und 42 Jahren ein niedriges Durchschnittsalter haben, werden nach Einschätzung der Fachleute mit dem Grundproblem des demografischen Wandels konfrontiert. Für Erding beispielsweise könnte der sogenannte Altenquotient in zwanzig Jahren bei 44,6 liegen: Damit kämen auf hundert Menschen im erwerbsfähigen Alter fast 45 Senioren.

Die stärksten Bevölkerungszuwächse erwarten die Statistiker in den oberbayerischen Landkreisen Dachau (+13,2 Prozent), Ebersberg (+13), Erding (+12,2) und dem Landkreis München (+12,1). Einen sehr hohen Anstieg sagen sie in Niederbayerin der Stadt Landshut (+12,5), in der Oberpfalz der Stadt Regensburg (+8,3) und dem Landkreis Regensburg (+7,9) sowie in Mittelfranken der Stadt Fürth (+8,1) voraus.

Sorgenkinder bleiben vorerst die Kommunen im nordöstlichen Grenzgebiet in Oberfranken und in der Oberpfalz. Neben dem Landkreis Wunsiedel werden hohe Rückgänge auch den Landkreisen Kronach (-14 Prozent) und Hof (-11,7) sowie Tirschenreuth (-9,9) prognostiziert.

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SZ vom 29.12.2018
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