Süddeutsche Zeitung

Einflussnahme:Schwere Vorwürfe gegen Generalstaatsanwaltschaft im Fall Schottdorf

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Von Stefan Mayr, München

Christian Schmidt-Sommerfeld ist seit 2009 Präsident des Landgerichts München II, vorher war er sechs Jahre lang Chef der Staatsanwaltschaft München I. Er ist heute 66 Jahre alt und muss keinen Karriereknick mehr befürchten. So ist es vielleicht zu erklären, dass seine Aussage vor dem Untersuchungsausschuss Labor des Bayerischen Landtags offener war als die vieler anderer Zeugen. Was Schmidt-Sommerfeld am Dienstag erzählte, ist sehr brisant und bringt so manchen ehemaligen Generalstaatsanwalt wie auch die ehemalige Justizministerin Beate Merk (CSU) in arge Bedrängnis.

Schmidt-Sommerfeld berichtete von mysteriösen Vorgängen in der bayerischen Justiz, die den Eindruck nahelegen, dass hier nicht alles mit rechten Dingen zugegangen sein könnte. Er bestätigte, dass die Generalstaatsanwaltschaft massiven Einfluss auf das Ermittlungsverfahren gegen Laborunternehmer und CSU-Mitglied Bernd Schottdorf genommen hat - und dies in sehr ungewöhnlichem Umfang.

Wie der Generalstaatsanwalt eingegriffen haben soll

So habe der Generalstaatsanwalt dreimal konkret eingegriffen: Er unterband geplante Durchsuchungen, er untersagte verjährungsunterbrechende Maßnahmen und er gab den Verfahrenskomplex gegen den Willen der Münchner Ermittler an die Staatsanwaltschaft Augsburg ab. Dort wurden die Verfahren gegen Tausende Ärzte dann 2009 binnen weniger Wochen eingestellt. Und das, obwohl am Landgericht München noch ein Pilotverfahren anhängig war, das die Rechtslage klären sollte.

Hat die bayerische Justiz ihre schützende Hand über die betrügerischen Ärzte gehalten, weil es im Wahljahr 2008 politisch opportun war? Gab es Druck von der Politik? Diese Frage versucht der Untersuchungsausschuss zu klären. Eine wuchtige Antwort gab Schmidt-Sommerfeld: "Ich hatte immer den Eindruck, dass die Generalstaatsanwaltschaf nicht wollte, dass unser Staatsanwalt Harz dieses Verfahren weiter betreibt und seine Rechtsmeinung durchsetzt." Mit anderen Worten: Die Generalstaatsanwaltschaft, die ja als Mittelbehörde zwischen Justizministerium und Staatsanwaltschaften fungiert, hat das Verfahren aktiv gesteuert und letztlich bewirkt, dass sich die meisten Verfahren in Luft auflösten.

Mit seinen Angaben widerspricht Schmidt-Sommerfeld gründlichst dem Justizministerium. Dieses hatte in einer Antwort auf eine Anfrage der Grünen-Landtagsfraktion im Jahr 2010 den Eindruck erweckt, es habe keinerlei Einflussnahme der Generalstaatsanwaltschaft gegeben. Schmidt-Sommerfeld hingegen betonte: "In diesem Fall war das Einwirken des Generals schon außergewöhnlich." Um diesen massiven Widerspruch aufzuklären, muss nun auch die damalige Justizministerin Beate Merk vor dem Ausschuss aussagen. Dies hat das Gremium am Montag in nicht-öffentlicher Sitzung beschlossen, ohne einen Termin festzusetzen.

"Wir waren baff, das war sehr ungewöhnlich"

Christian Schmidt-Sommerfeld ist nach wie vor überzeugt, dass das Vorgehen der Ärzte und des Labors Schottdorf verwerflich ist: "Es ist standeswidrig, es verstößt gegen die Berufsordnung und es ist Betrug", sagte er. Dies sei die allgemeine Rechtsmeinung der Staatsanwaltschaft München I gewesen. Auch diese Aussage hat enorme Sprengkraft: Denn der damalige Generalstaatsanwalt Christoph Strötz hatte vor dem Verfassungsausschuss des Landtags ausgesagt, dass lediglich der zuständige Sachbearbeiter die einsame Meinung vertreten habe, dass es sich bei den untersuchten Abrechnungsmethoden um Betrug handelte. Hat der Mann den Landtag belogen? Diese Frage wird ihm bei seiner Vernehmung wohl gestellt werden.

Schmidt-Sommerfelds Aussage wurde am Dienstag auch von einer weiteren hochrangigen Juristin bestätigt. Oberstaatsanwältin Hildegard Bäumler-Hösl berichtete, wie 2008 eine bereits vorbereitete Durchsuchung im Augsburger Labor Schottdorf abgesagt wurde. "Wir Staatsanwälte durften nicht dabei sein", sagte Bäumler-Hösl. "Wir waren baff, das war sehr ungewöhnlich." Das Verbot habe die Generalstaatsanwaltschaft nie begründet.

Auch der Wechsel des Verfahrens von München nach Augsburg sei nie begründet worden, sagte Christian Schmidt-Sommerfeld aus. Wäre das Verfahren in München geblieben, hätten die Staatsanwälte gegen fünf Ärzte und Bernd Schottdorf Anklage erhoben, um das "Betrugs-System" trockenzulegen, wie Schmidt-Sommerfeld bestätigte. So aber wurden die Aktendeckel geschlossen.

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SZ vom 14.10.2015
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