Süddeutsche Zeitung

Ehemaliges Gelände der NSDAP:Was Nürnberg mit seinem Nazi-Erbe plant

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Von Katja Auer, Nürnberg

Ob die Steine reden oder nicht, darüber wird in Nürnberg viel diskutiert. Lange schon. "Wir wollen die Steine zum Sprechen bringen", sagte Oberbürgermeister Ulrich Maly am Freitag - und zwar jene auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände, dem riesigen Nazi-Erbe der Stadt. Anfang Juli soll der Stadtrat ein Konzept beschließen, das aus dem Propaganda-Gelände einen Erfahrungsraum machen soll.

Dafür sollen Aussichtspunkte entstehen, die den jetzt schon mehr als 150 000 Besuchern pro Jahr einen besseren Überblick über die gewaltigen Dimensionen des Areals verschaffen. Zehn zusätzliche Info-Stationen zu den schon bestehenden sind vorgesehen, 3-D-Guckkästen sollen den Besuchern einen Eindruck vermitteln, wie die Bauwerke in der NS-Zeit aussahen. Oder aussehen sollten. Wie die Kongresshalle, die nie fertiggestellt wurde und in der sich heute das Dokumentationszentrum befindet. Außerdem will die Stadt Blickachsen wieder öffnen, die zurzeit zugewachsen sind. Dafür müssten eventuell auch Bäume gefällt oder stark gestutzt werden, sagte Maly.

Streit über Sarnierung oder Erhalt

Das gesamte Konzept, das Kulturreferentin Julia Lehner und Ingrid Bierer, die Leiterin der städtischen Museen, am Freitag vorstellen, hängt jedoch eng an dem Erhalt der zum Teil sehr bröckeligen Nazi-Bauten auf dem Gelände. Zwar hat der Stadtrat schon vor mehr als zehn Jahren beschlossen, die Gebäude, vor allem die Zeppelintribüne, als Lernort zu erhalten, darüber gestritten wird aber immer noch.

Einige Historiker und auch Nürnbergs früherer Kulturreferent Hermann Glaser sprachen sich dafür aus, den monströsen Bau kontrolliert verfallen zu lassen, auch um so den Mythos des nur kurz währenden "Tausendjährigen Reichs" zur Ruine werden zu lassen. Und um eine Menge Geld zu sparen. Denn es wird viel kosten, die Tribüne soweit zu sichern, dass sie für Besucher zugänglich ist und nicht irgendwann einfach zusammenfällt. Um mehr geht es nicht, nur um den Erhalt als authentischen Ort, das betont Maly immer wieder, niemand rede davon, die Zeppelintribüne zu sanieren.

Schätzungen beliefen sich bislang auf Kosten von etwa 70 Millionen Euro. Wie teuer es wirklich wird, das sollen Fachleute herausfinden, die zurzeit die Bauten untersuchen. Im nächsten Jahr soll dann klar sein, was der Erhalt kosten wird. Alleine kann die Stadt das nicht stemmen, das steht fest, Ministerpräsident Horst Seehofer hat bereits Unterstützung zugesichert. Auch die Bundesregierung will sich beteiligen, das steht im Koalitionsvertrag. Was Maly etwas zur Eile mahnen lässt: "Wir sollten anfangen, solange der noch gilt", sagte er.

Was Besucher irgendwann erwarten könnte

Interessierte sollen irgendwann auch einen Blick in das Innere der Tribüne werfen können. Dort ist der Goldene Saal, der bislang nur mit Führungen besucht werden kann, weil es einfach zu gefährlich ist in der bröckelnden Ruine. Dem neuen Konzept zufolge werden die Besucher zudem in einen der Ecktürme des Zeppelinfeldes hineinsehen können und dann feststellen, dass sich hinter dem ganzen Pomp nur ein Klohäuschen verbarg.

"Wir wollen deutlich machen, was hinter der ganzen Selbstinszenierung steckte", sagte Museumschefin Bierer. Das trage auch zur Entmystifizierung des Geländes bei. Das allerdings wird lange schon sehr profan von den Nürnbergern genutzt. Autorennen finden dort statt und Rockkonzerte, nach dem Krieg spielten die amerikanischen Soldaten Baseball auf dem Zeppelinfeld und spannten die Fangnetze einfach an Hitlers alte Fahnenstangen. Die Nürnberger sollten das Areal auch mit dem neuen Konzept weiter als Freizeitgelände nutzen können, sagte Kulturreferentin Lehner. Sehr viel profaner geht es schließlich nicht.

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SZ vom 27.06.2015
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