Süddeutsche Zeitung

Drohung von Neonazis:Wie es ist, wenn man die eigene Todesanzeige liest

Lesezeit: 3 min

Die Sozialwissenschaftlerin Birgit Mair klärt an Schulen über Neonazis auf. Nun wurde sie deshalb bedroht.

Interview von Olaf Przybilla, Nürnberg

Die Sozialwissenschaftlerin Birgit Mair beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit Nazi-Strukturen, alten und neuen. Kürzlich musste sie ihre eigene Todesanzeige lesen, im Internet annonciert offenbar von Neonazis. Einschüchtern lässt sie sich dadurch nicht. An diesem Donnerstag informiert sie im Nürnberger Veranstaltungszentrum K4 über die "Rechte Aufmarschserie in Nürnberg 2015".

SZ : Frau Mair, wie ist das, wenn man die eigene Todesanzeige liest?

Birgit Mair: Erst mal ist es befremdlich. Beim genaueren Betrachten war es aber weniger diese Todesanzeige, die mich verstört hat. Mein Gott, was stand da noch mal drin? Ich weiß es gar nicht mehr genau. Irgendwas, dass ich deutsche Kinder gegen den Nationalsozialismus aufwiegele.

Der Text heißt: "An Schulen betreibst du Gehirnwäsche an deutschen Kindern, hetzt gegen die nationalsozialistische Idee. Damit ist jetzt Schluss."

Also das konnte ich alles noch ganz gut rationalisieren. Als ich dann aber das Anschreiben der Mail genauer las, von der man auf den Link mit der Todesanzeige kommt, das war dann schon bedrohlich.

Was stand da?

Erster Satz: "Trotz Polizeiaktion nicht tot." Dann: "Aber du bald, wenn du nicht besser aufpasst." Wenn man darüber nachdenkt, ist das wohl ein Verweis auf die Razzia bei führenden Köpfen der Neonazi-Partei "Die Rechte" in Franken. Bei den Wohnungsdurchsuchungen wurden ja Bomben und Nazi-Devotionalien gefunden. Offenbar war geplant, das Abschiebezentrum in Bamberg mit Waffen zu attackieren.

Haben Sie Angst seither?

Nein, Angst habe ich keine, bin aber vorsichtig geworden. Ich achte darauf, dass Türen verschlossen sind. Organisiere mir bei Veranstaltungen einen Begleitschutz. Und natürlich habe ich die Holocaust-Überlebenden, mit denen ich an Schulen Vorträge halte, über die Sache informiert. Schlafen kann ich aber immer noch wunderbar.

Sie beschäftigen sich seit Jahrzehnten mit Nazistrukture n, mit alten und neuen.

Seit 30 Jahren, ja, erst im Studium und für die Stadt Nürnberg. Im Institut für sozialwissenschaftliche Forschung, Bildung und Beratung inzwischen auch schon 15 Jahre.

Erwischt man sich da manchmal beim Gedanken: Warum muss eigentlich ich das machen? Können sich nicht mal andere mit dem braunen Sumpf beschäftigen?

Es gab auch bei mir schon mal die Situation, in der ich mich gefragt habe: Sattelst du noch mal um? Ich habe auch BWL studiert, klar könnte ich auch was anderes machen. Aber ich finde, man hat auch eine Verantwortung: Wenn man sich mehr als 30 Jahre mit Nazi-Strukturen beschäftigt und darüber forscht, sammelt man viel Wissen an. Das kann ich in Schulen gut weitergeben.

Gibt es Strategien, den Forschungsgegenstand nicht zu nahe an sich ranzulassen?

Also, meine Freunde sind da schon eingeweiht. Ich freue mich zum Geburtstag definitiv nicht über das neueste Buch zu meinem Forschungsgegenstand. Und im Urlaub verabschiede ich mich regelmäßig weit weg. Wohin, würde ich nie verraten. Das müssen die Nazis nicht wissen.

Können Sie sich an ein Nachkriegs-Jahr erinnern, in dem es in Nürnberg mehr rechte Aufmärsche gab als 2015?

Nein, so wie 2015 war es in Nürnberg noch nie. Insgesamt kommt man auf 24 rechte Aufmärsche. Darunter 15-mal Pegida, dreimal Nügida, fünfmal "Die Rechte", wobei Nügida und "Die Rechte" quasi deckungsgleich sind. Dazu einmal türkischstämmige Nationalisten. Verhindert wurde der Aufmarsch von "Blood and Honour" aus Ungarn auf dem Reichsparteitagsgelände.

Gab es jeweils Gegenveranstaltungen?

Zu jeder, ja. Und immer waren die Gegendemonstranten in der Überzahl. Die Kundgebung der "Rechten" neben der Nürnberger Frauenkirche, auf dem Hauptmarkt, dem früheren Adolf-Hitler-Platz, wurde ja von der Stadt verboten, vom Verwaltungsgericht aber genehmigt. Das war sehr kurzfristig, meines Wissens war keine Gegenveranstaltung angemeldet, es gab auch keine Aufrufe. Interessanterweise kamen trotzdem 400 Menschen, um zu protestieren, eigeninitiativ. Das spricht für den Wunsch der Menschen, etwas zu machen.

Sie haben die Reden der ersten fünf Pegida-Kundgebungen aufgezeichnet, analysiert und ein Dossier angelegt.

Ich fand das spannend, gerade weil Pegida ja von sich selbst immer gesagt hat: Wir sind keine Nazis, haben mit Rechtsextremisten nichts zu tun. Also wollte ich mal genauer reinhören. Was dort gepredigt wird, ist ein radikaler völkischer Rassismus. Es wird komplett undifferenziert gegen Muslime gehetzt, auch gegen lange hier lebende Migranten. Auf der Internetseite unseres Instituts für sozialwissenschaftliche Forschung, Bildung und Beratung kann sich jeder selbst ein Bild davon machen.

Lange gab es die Theorie, Rechtsextreme wollten insbesondere in entlegenen ländlichen Regionen Frankens Fuß fassen.

Das stimmt einerseits. Andererseits ist Pegida eine Bewegung, die in den größeren Städten versucht, Stimmung zu machen.

Sie haben Anzeige wegen der Todesanzeige erstattet. Glauben Sie, irgendwann zu erfahren, wer dafür verantwortlich ist?

Man soll die Hoffnung ja nie aufgeben. Signale von der Polizei gibt es noch keine.

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Quelle:
SZ vom 10.12.2015
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