Süddeutsche Zeitung

Geschichte:Zu Besuch in Wallensteins Lager

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Der Feldherr belagerte im Dreißigjährigen Krieg Nürnberg und ließ dazu ein Feldlager für 80 000 Menschen bauen. In der Nähe kann man die Spuren dieses gigantischen Aufmarsches besichtigen.

Von Olaf Przybilla

Das Wort vom "größten Feldlager in der Geschichte" bei Zirndorf hält sich auch 400 Jahre nach Beginn des Dreißigjährigen Krieges standhaft. Tatsächlich aber hat die Chefin des dortigen Museums, Christine Gottschalk, so ihre Bauchschmerzen damit. Zwar hatte ein Forscher, der dem Lager Wallensteins in Mittelfranken größere Teile seines Lebenswerks gewidmet hat, diesen Superlativ einst eingeführt.

Nur hat der Mann ihn später selbst wieder einzufangen versucht. Mit gutem Recht: Wer weiß schon, wie groß historische Heereslager in, sagen wir, China wirklich waren. Auch hat in Wallensteins Lager gewiss keiner Buch geführt - Gustav Adolf hatte sich gerade in Nürnberg verschanzt, da hatte ein Kriegsunternehmer andere Sorgen. Zumal erst klar sein müsste, wer zu so einem Lager zu rechnen ist: Nur Soldaten? Oder auch Köche und Gaukler, Holzfäller und Huren.

Die Museumsleiterin Gottschalk hat gerade mit eindeutigem Mienenspiel signalisiert, dass sie gar nicht glücklich ist damit, immer wieder vom angeblich größten Heereslager der Historie lesen zu müssen. Passiert oft genug. Da hört man einen Raum weiter im ersten Stock des Städtischen Museums Zirndorf die sonore Stimme eines Sprechers, der vom, tja, größten Feldlager der Militärgeschichte raunt. Die Dokumentation, die da läuft, wurde auf 3 Sat ausgestrahlt, eigentlich nicht der klassische Sendeplatz für die gepflegte Militärprotzerei. Aber so ist das eben, wenn ein Superlativ erst mal in der Welt ist.

Und klar: Die Zirndorfer könnten den Fernseher mit der Dokudauerschleife auch einfach abschalten. Aber dafür ist das Geschehen dann doch zu eindrücklich geschildert. Gerade wenn dort die Rede ist vom Duell der "Giganten" zwischen dem kaiserlich-katholischen Feldherren Wallenstein und dem Schwedenkönig Gustav Adolf, dem Kurzzeit-Messias auch der süddeutschen Protestanten; und dann aufs Zirndorfer Museumsmodelllager geschwenkt wird, aufs Zinnfigurendiorama, das ein Tüftler aus dem fränkischen Hagenbüchach "in 20-jähriger Arbeit in seinem Wohnzimmer" erschaffen hat, wie ein kleines Schild informiert.

Es gibt eine kaum überschaubare Anzahl von Darstellungen über Wallenstein, diesen von Schiller mehrdeutig verrätselten Zauderer, der in Wahrheit ein sehr eindeutig orientierter Kriegspragmatiker gewesen sein dürfte. Und es gibt viele Biografien, die neuer und historisch handfester sind als jene von Golo Mann. An erzählerischer Eleganz freilich ist Mann unerreicht. Gustav Adolf hatte 1632, nach seinem märchenhaften Siegeszug durch Süddeutschland, Station im protestantischen Nürnberg gemacht und sich dort gegen die herannahenden kaiserlichen Truppen nach allen Regeln der Kriegskunst verschanzt. 20 000 Soldaten, schreibt Mann, sammelte der Schwedenkönig um sich, darunter "gezwungene Bauern und freudig voluntierende Jungbürger". Sein Antipode Wallenstein also kam - und wartete. Wie so oft.

Eine Eigenart, die der Jenaer Historiker Friedrich Schiller ihm später als Zauderei auslegen sollte. Die bei Wallenstein aber einer schlicht strategischen Berechnung geschuldet gewesen sein dürfte: Der Schwede sollte hinter den Mauern Nürnbergs isoliert und ausgehungert werden und wenn möglich einer der grassierenden Seuchen zum Opfer fallen. Also ließ Wallenstein südlich von Fürth ein, nun ja, Lager bauen, das in Wahrheit einer irrsinnigen Festungslandschaft gleichkam. "Laufgräben, Wälle, Redouten, die Rednitz entlang; ganze Wälder zerstört, um Platz und Übersicht zu schaffen, die Bäume zu Palisaden zu spitzen; die Anhöhen im Norden mit dreifachen Schanzen geschmückt; außerhalb des Walles gegen Norden die Alte Veste, eine Burgruine auf waldiger Höhe, nun ins Modernste verwandelt mit Kanonen, Gräben und Verhauen", schildert Golo Mann.

Wie groß das Lager wirklich war? Es dürften sich bis zu 80 000 Menschen in diesem "improvisierten Großverteidigungswerk" (Mann) aufgehalten haben, davon deutlich weniger als die Hälfte bewaffnetes Kriegsvolk - was eine Vorstellung davon verschafft, wie es der Kriegskapitalist Wallenstein schon damals verstand, die Feldschlacht als logistisches Problem mit glänzenden ökonomischen Begleiterscheinungen zu verstehen. Krieg war für Wallenstein vor allem: ein Geschäft. Und je größer das Lager, desto höher die Rendite.

Ganze Wälder wurden zugunsten seines Lagers in Franken zerstört, schreibt Golo Mann. Heute glaubt man, das etwas präziser zu wissen, es waren wohl 13 000 Bäume. Und so hatten die Städte Zirndorf, Oberasbach und Stein kürzlich die Idee, für ein gemeinsames Erinnerungsprojekt 13 000 Bäume anzupflanzen.

Der Blick von der Alten Veste entschädigt für vieles

Das war etwas zu optimistisch, das wird sich wohl - wegen Platzmangels und aus Kostengründen - so nicht realisierten lassen. Realisiert werden soll bis ins Jahr 2020 dagegen ein 16 Kilometer langer Wanderweg mit Erlebnisstationen und Aussichtstürmen rund um das Areal, auf dem eines der größten Feldlager zumindest der Frühen Neuzeit stand. Sechzehn Kilometer auf dem "Erlebnisweg Wallensteins Lager". Danach dürfte man eine sehr konkrete Vorstellung davon haben, zu welchem Wahnsinn sich europäische Konfessionskrieger einst veranlasst sahen (und wenn schon nicht für die angeblich gläubige Sache, so doch für tatsächlich gutes Geld).

Wer nicht bis 2020 warten will, kann jetzt bereits auf die Alte Veste bei Zirndorf steigen. Deren Name ist - siehe Golo Mann - historisch, heute jedoch leicht irreführend. Wobei spätestens beim Eintritt in den Turm keiner davon ausgehen dürfte, dass es sich bei diesem Werk tatsächlich um eine alte Festung handelt: Der Turm atmet im Inneren den Charme einer Parkhaustreppenstiege aus den Siebzigerjahren. Tatsächlich ist der Turm 1945 von der Wehrmacht gesprengt und erst 1979 wieder aufgebaut worden. Der Blick von oben dagegen entschädigt für vieles. Der fränkische Ballungsraum mit seinen 800 000 Einwohnern ist höchstens vom Fernsehturm in Nürnberg aus ähnlich gut zu sehen. Der aber ist seit Jahren gesperrt.

Wie die Schlacht zwischen den Giganten ausgegangen ist? Wallenstein hat lang genug gewartet. Im September 1632 sah sich Gustav Adolf gezwungen, ihn anzugreifen. Als es zu regnen begann, wusste er, dass er diese Schlacht nicht gewinnen kann. Abbruch des Angriffs. Mehrere Hundert Tote auf beiden Seiten. Danach zogen beide weiter. Und das Land war verwüstet.

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SZ vom 08.09.2018
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