Süddeutsche Zeitung

Donauwörth:Eine Flüchtlingsfamilie darf in Deutschland bleiben - nur der Sohn als Einziger nicht

Lesezeit: 2 min

Von Christian Rost, Donauwörth

Mit ihren Eltern und ihren Geschwistern lebt Lina Qurbani seit mittlerweile zwei Jahren in der Flüchtlingsunterkunft in Donauwörth. Die Familie flüchtete aus ihrer Heimat Afghanistan vor Terroristen und hoffte, in Deutschland bleiben zu können. Doch nur einem Teil der Familie gestand das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) jetzt eine Aufenthaltserlaubnis zu. Während die 19-jährige Lina, ihre Eltern und ihre jüngeren Geschwister geduldet werden, muss ihr Zwillingsbruder Saber das Land verlassen. "Weil er ein Mann ist", sagt Lina, die aufgrund ihrer guten Deutschkenntnisse für die Familie spricht.

Die Familie stammt aus Masar-i-Scharif im Norden Afghanistans, wo Taliban im Herbst vergangenen Jahres das deutsche Konsulat angegriffen haben. Für die Bevölkerung dort ist die Lage alles andere als sicher, wie dieser Tage auch die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Bärbel Kofler, betonte. "Die Sicherheitslage in Afghanistan mag von Region zu Region unterschiedlich sein, gut ist sie aber nirgendwo", so Kofler in einem Interview. Sie fordert einen Stopp der Abschiebungen nach Afghanistan.

Doch die im Dezember begonnenen Sammelabschiebungen laufen unvermindert weiter, seit die Bundesregierung mit der islamischen Republik ein Rückführungsabkommen geschlossen hat. Wer abgeschoben wird und wer nicht, entscheidet das Bamf - wobei die Gründe für die einzelnen Entscheidungen nicht nachvollziehbar sind. Jedenfalls zeigt das Beispiel der Familie Qurbani, dass das Bundesamt selbst bei Verwandten, die alle aus demselben Grund geflüchtet sind, zu völlig unterschiedlichen Bewertungen kommt.

Der Familienvater Navid Qurbani entschloss sich 2015 zur Flucht. Nach seinen Angaben wurde er selbst von den Taliban bedroht, sein Sohn Saber auf offener Straße überfallen und Tochter Lina von den Terroristen zur Zwangsheirat ausgesucht. In Deutschland beantragten sie Asyl. Am Ende des Verfahrens bekamen die Eltern und die jüngeren Geschwister einen Bescheid, wonach sie vorerst für ein Jahr geduldet werden. Nur der Schülerin Lina wurde die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, die sie drei Jahre lang vor einer Abschiebung schützt.

Ihr Zwillingsbruder Saber, der in Donauwörth als Reinigungskraft arbeitet und für seine Unterkunft selbst bezahlt, muss nach der Entscheidung des Bamf ausreisen. Saber klagt dagegen, doch auch sein Anwalt sieht die Erfolgschancen als gering an. Falls der 19-Jährige tatsächlich zurück nach Afghanistan muss, wird er auf sich allein gestellt sein. "Wir haben keine Verwandten mehr dort", berichtet Lina. Zuletzt sei ihre Großmutter in die Türkei ausgereist, wo sie zwischenzeitlich verstorben ist. "Es ist schlimm, dass die Familie auseinandergerissen wird", sagt Lina.

Welche Rolle spielt das Geschlecht im Asylverfahren?

Mara Kutzner vom Verein Aktion Anker, dem Netzwerk der Flüchtlingshilfe für Donauwörth, kann die Entscheidung des Bamf nicht nachvollziehen. Laut Abschiebebescheid muss Saber in Afghanistan "keine individuelle Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit" befürchten. Er habe seine Heimat "nicht vorverfolgt" verlassen, urteilt das Amt. Dass er, wie er angab, überfallen worden war und die Taliban schon einen Verwandten von ihm, einen Buben, getötet hatten, fiel offenbar nicht ins Gewicht. Mara Kutzner vermutet, dass das Bamf bei jungen Frauen grundsätzlich anders entscheidet als bei jungen Männern, die besonders von Abschiebungen bedroht seien.

Dass das Geschlecht im Asylverfahren eine zentrale Rolle spielt, bestätigt das Bamf nicht. Es will auf Anfrage auch nicht konkret Stellung nehmen, weshalb die Anträge der Familie Qurbani unterschiedlich beurteilt wurden. Das Amt teilt lediglich mit, dass der Antrag jedes volljährigen Asylsuchenden getrennt voneinander bewertet werde: "Je nach Sachlage und vorgetragener Fluchtgründe kann es auch innerhalb von Familien zu unterschiedlichen Entscheidungen kommen." Weiter heißt es: Das Bundesamt wisse um die Härte, die unterschiedliche Entscheidungen innerhalb einer Familie für die Angehörigen bedeuteten. Asylverfahren würden jedoch sorgfältig auf der Grundlage rechtsstaatlicher Prinzipien durchgeführt.

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SZ vom 21.02.2017
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