Süddeutsche Zeitung

Flüchtlingspolitik:Warum Stoiber in der CSU wieder was zu sagen hat

Lesezeit: 2 min

Von Wolfgang Wittl

Edmund Stoiber konnte nicht ahnen, dass er ein Ereignis historischen Ausmaßes verpassen würde. Der frühere CSU-Chef lässt sich nur ungern ein Spiel des FC Bayern entgehen, dessen Aufsichtsrat er angehört. Und dann so was: Schießt dieser Robert Lewandowski doch glatt fünf Tore in neun Minuten. Aber Stoiber hatte an diesem Abend natürlich einen noch viel bedeutenderen Termin.

Während die CSU-Landtagsfraktion in Kloster Banz zu ihrer Herbstklausur zusammenkam, traf er sich ein paar Kilometer abseits still und heimlich mit dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán, der tags darauf als CSU-Ehrengast eingeladen war. Was genau in den eineinhalb Stunden besprochen wurde, behielten Stoiber und Orbán weitgehend für sich. In der CSU-Spitze wusste niemand von dem Treffen.

Im Gegensatz zu anderen ehemaligen Parteichefs und Ministerpräsidenten, die sich aus der Politik heraushalten, konnte Stoiber nie loslassen. So aktiv wie jetzt war der bald 74-Jährige aber schon lange nicht mehr. Die Flüchtlingskrise treibt Stoiber mehr als alles andere um: Er ergreift das Wort in CSU-Vorstandssitzungen, führt Telefonate im Hintergrund, umschwirrt die Führungsriege bei allen möglichen Anlässen und redet auf sie ein, ob die das nun will oder nicht. Bei den Feiern zum 100. Geburtstag von Franz Josef Strauß eilte er so aufgeregt mit den Händen fuchtelnd zwischen CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt und dem Parteivorsitzenden Horst Seehofer umher, dass er einem Kellner beinahe das Tablett aus der Hand geschlagen hätte. Selbst frühere Getreue staunen: Was bewegt diesen Mann?

Ein bisschen hofft Stoiber wohl immer noch, den Kurs der CSU zu beeinflussen. Gerade in wichtigen Fragen wie jetzt wolle er "seine CSU", die es so gar nicht mehr gibt, auf seine Linie steuern, sagt ein Kabinettsmitglied. In der Asylpolitik scheint das tatsächlich zu gelingen.

Stoiber als "geistiger Drahtzieher"?

Stoiber gehört zu den entschiedensten Gegnern von Angela Merkels Entschluss, Flüchtlinge unkontrolliert einreisen zu lassen. Stoiber sei ein "Überzeugungstäter". Er zählt zu den engen Vertrauten von Orbán, er ist ein Duz-Freund des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Dass die CSU sich demonstrativ mit Orbáns Besuch schmückt und eine Annäherung Europas an Russland anmahnt, komme nicht sonderlich überraschend. Mancher in der Partei hält Stoiber für den "geistigen Drahtzieher".

Ob es wirklich Zufall ist, dass die CSU diesen Kurs propagiert? Auch Seehofer befürwortet eine Öffnung gegenüber Russland, zum einen um eine Lösung im Syrien-Konflikt herbeizuführen, zum anderen wegen Drucks aus der bayerischen Wirtschaft. "Von außerordentlich großer Bedeutung" sei der russische Markt, sagt der CSU-Chef. Bald soll sich Bayerns Wirtschaftsministerin Ilse Aigner mit einer Delegation nach Russland aufmachen, auch Seehofer liebäugelt mit einem Besuch bei Putin. Den ungarischen Ministerpräsidenten hält Seehofer für einen unverzichtbaren Partner bei der Sicherung europäischer Grenzen, und weil es ihm politisch opportun erscheint, nutzt er Orbáns Visite sogar für einen Angriff auf die Kanzlerin.

Dass Stoiber der CSU seinen Stempel aufdrücke, weist Seehofer indes amüsiert zurück. Die bayerische Staatsregierung formuliere ihre Politik "eigenständig". Und wenn Stoiber das Gespräch mit Orbán für sich behalte, sei das "keine Grenzüberschreitung" des CSU-Ehrenvorsitzenden. Vielleicht ist es also so einfach, wie ein Parteikenner vermutet. Orbán freue sich als politischer Außenseiter in Europa über jeden Verbündeten, etwa einen in Brüssel bestens vernetzten Edmund Stoiber. Der wiederum genieße es, wenn er wieder ein bisschen mitmischen dürfe. Und Horst Seehofer lasse alle gewähren, solange es ihm nützt.

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SZ vom 26.09.2015
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