Süddeutsche Zeitung

Chefs von morgen:Innovationen aus der Schule

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Das Unternehmergymnasium Pfarrkirchen ist das einzige seiner Art in Deutschland. Schüler sollen darauf vorbereitet werden, Firmen zu gründen oder zu übernehmen

Von Anna Günther

Laufschuhe mit Schrittzähler - Selbstüberwachung bei der Selbstoptimierung, das könnte ankommen bei Fitnessjunkies und digitalaffinen Hobbyläufern. Was nötig ist, um aus dieser Idee ein Produkt mit wirtschaftlichem Erfolg zu machen, diskutieren an diesem graukalten Nachmittag im Rottal mehr als 30 Schüler. In den Fluren des Gymnasiums Pfarrkirchen ist es still. Nur im angrenzenden Internat ist Betrieb, in der Aula wird für eine Weihnachtsaufführung geübt. Derweil denken die Zehntklässler über Materialkosten, Gründungsaufwendungen und die Lohnkosten von Arbeitgebern nach. Finanzplanung am späten Nachmittag, die Luft ist stickig. Doch die Jugendlichen sind konzentriert - und freiwillig da. "Wie viel Budget würdet ihr am Anfang für Werbung einplanen?", fragt Dozent Christian Schläger. Viele Arme schnellen hoch. 1000 Euro werden genannt, 10 000 Euro. "Die meiste Werbung würde ich am Anfang machen, das Produkt wird erst ein Erfolg, wenn die Leute das auch kennen", sagt ein Bub. Schläger bestätigt frei nach Henry Ford: "Wer nicht wirbt, stirbt. Das hört sich krass an, aber da ist etwas Wahres dran." Mit jeder neuen Zahl schmilzt der erhoffte Umsatz von 500 000 Euro dahin. "Finanzplanung ist oft ein worst case play", sagt Schläger, der für die Hans-Lindner-Stiftung Existenzgründer berät. Die Schüler sollen den negativsten Fall kennen und sich später dennoch trauen, eine Idee umzusetzen.

Das Unternehmergymnasium Bayern möchte Schüler über Risiken aufklären und ermuntern, Firmen zu gründen oder zu übernehmen. Seit zwölf Jahren gibt es das Programm, 300 Jugendliche haben es bereits durchlaufen. 36 Zehntklässler lernen in diesem Schuljahr, was ein Unternehmer wissen muss. Etwa zehn Schülerfirmen sind daraus entstanden, etwa die Schulcafeteria und jene Firma, die "Bequemix" herstellt, einen steckbaren Stuhl aus Buchenholz und Stoff. Das Konzept gehe weit über Praktika und das Fach Wirtschaft hinaus, sagt Schulleiter Peter Brendel. Er spricht von einem Leistungszentrum für Jugendliche, die sich um ihre Idee oder Firma kümmern und trotzdem das Abitur machen. Projektleiter Andreas Winterer organisiert mit fünf Kollegen Exkursionen, Workshops und berät die Jugendlichen, während er deren Schulnoten im Blick behält. In der neunten Klasse können Schüler sich im Plus-Kurs Wirtschaft ausprobieren. "Da füttern wir sie an", sagt Brendel. Das Spezialprogramm mit Modulen, die Experten aus der Wirtschaft unterrichten, findet in der zehnten Klasse statt.

Das Curriculum umfasst Imagedesign, Finanzplanung, Marken- und Patentrecht, Versicherungen, Strategische Markenentwicklung, Benimmtraining oder Rechtsformen und deren Besteuerung. Die Jugendlichen lernen die Theorie und probieren diese bei ihrer eigenen Idee wie dem Laufschuh mit Schrittzähler, in Schülerfirmen, Wettbewerben oder Planspielen aus. Firmen der Region bieten sich als Versuchsobjekt an, die Schüler übernehmen Dienstleistungen und programmieren etwa, betreut von Experten, im Gegenzug die Homepage. Dazu kommen Paten aus der Wirtschaft, die jedem Jugendlichen zugeordnet werden. Die Schüler schauen ihren Paten ein Jahr lang über die Schulter. Und was haben die Paten davon? Pascal Mangold hofft wie viele der beteiligten Unternehmer, Mitarbeiter für seine IT-Firma zu gewinnen. Langfristig, sagt er, mehr noch treibt ihn aber Idealismus an: "Bildung kann alle Probleme dieser Erde lösen." Er teile sein Wissen gern und brauche für die Firma gut ausgebildete Leute, die selbständig Probleme lösen. Der Ort, das zu lernen, ist für ihn das Gymnasium.

Die Idee zum Unternehmergymnasium entstand im Schulalltag: Ein Schüler war im Unterricht unausgeschlafen, unkonzentriert. "Der könnte doch besser sein, wenn er sich auf die Schule konzentrieren würde, dachten wir uns", sagt Direktor Brendel. Statt zu schimpfen, fragten die Lehrer nach. Der Bub beschäftigte sich nachts nicht mit Mädchen oder trieb sich rum, er programmierte Internetseiten für ausländische Kunden. Nachts waren die Leitungen günstiger und frei. "Wir haben ihn da rausgeholt und beschlossen, sein Talent zu fördern", sagt Brendel. Der Schüler musste fortan erst um halb zehn in der Schule sein und bekam seinen eigenen Stundenplan. Und das Gymnasium im Rottal hatte sein Alleinstellungsmerkmal.

Bis heute sei seine Schule in Deutschland das einzige Unternehmergymnasium, sagt Brendel. Die Idee sei 2006 sehr gut angekommen. Die Lindner-Stiftung beteiligte sich mit Fachwissen, die CSU-Abgeordnete Reserl Sem mit politischen Beziehungen. 40 Kinder meldeten sich im ersten Jahr an. Mit der Stiftung war Lindner, eines der großen Unternehmen der Region, dabei. Das Kultusministerium stellt die Lehrerstunden, der Förderverein übernimmt die weiteren Kosten. Das Konzept passte zur Region mit vielen mittelständischen Betrieben und in die Zeit, sagt Brendel. Schüler sollten schneller in die Wirtschaft kommen, Effizienzdenken war beherrschendes Thema. Diese Ideen schlugen sich auch in der Einführung des achtjährigen Gymnasiums nieder. Ausgerechnet das G 8 dämpfte in den vergangenen Jahren die Nachfrage beim Unternehmergymnasium leicht. In der zehnten Klasse verbringen Schüler ohnehin drei Nachmittage in der Schule. Das Unternehmergymnasium ist zeitintensiv, allein die Theoriestunden nehmen den vierten Nachmittag in Anspruch. Von der Einführung des neuen G 9 verspricht Brendel sich noch mehr Schüler. Die Tendenz zeige der G-9-Versuch Mittelstufe Plus. Die Plus-Schüler in Pfarrkirchen haben wieder mehr Zeit und einige verbringen ihre Nachmittage nun im Unternehmergymnasium.

Auch das gesellschaftliche Klima treibt die Jugendlichen an: Gründen liege im Trend und auch innerhalb eines Betriebs werde von Mitarbeitern unternehmerisches Denken erwartet, bestätigt Dozent Schläger. Besonders virulent aber sei in der Region für Firmen das Thema Unternehmensnachfolge. Auch gut die Hälfte der Schüler im Unternehmergymnasium stammen aus einem Betrieb.

Julia Duldinger etwa überlegt, gemeinsam mit ihrer jüngeren Schwester die Baufirma des Vaters zu übernehmen. Hat sie keine Hemmungen? "Nein, wieso? Ich interessiere mich dafür, mag Mathe und Physik. Wenn das so bleibt, sehe ich kein Problem", sagt die Zehntklässlerin. Andere, wie Sofie Bachmaier, 15, nutzen die Freiheit der Mittelstufe Plus, um "etwas sinnvolles am freien Nachmittag zu machen". Eine Geschäftsidee hat sie noch nicht, aber fühlt sich gewappnet für die Zukunft. Die Erkenntnis nach drei Monaten im Unternehmergymnasium: "Ich hätte nicht gedacht, dass der Weg zum eigenen Produkt so lang ist und so viel Vorbereitung nötig ist." Nick Kelldorfner, 16, ist schon weiter, er hat das Programm 2017 absolviert und präsentiert an diesem Nachmittag auf zusammengeschobenen Tischen womit er Geld verdienen will: Für Messen und Events hat er ein Fahrrad auf eine Walze montiert. Mit der Virtual-Reality-Brille auf dem Kopf bewegt sich der Radler durch virtuelle Welten, während er auf der Stelle strampelt. Ein Gag für Messen oder Events, sagt Kelldorfner. Die Software hat er mit Freunden programmiert, den Prototyp haben die Eltern gestellt. Deren Radl-Geschäft soll erster Kunde sein, bei der Jubiläumsfeier im kommenden Jahr.

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Quelle:
SZ vom 22.12.2018
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