Süddeutsche Zeitung

Unternehmen in Bernau am Chiemsee:Das Ziel: CO₂-neutrales Fliegen

Lesezeit: 3 min

Ohne schlechtes Gewissen in den Urlaub fliegen? Das bayerische Unternehmen Caphenia mit Sitz in Bernau am Chiemsee will dies mit einer Technologie möglich machen.

Von Elena Kolb, München

Ohne schlechtes Gewissen in den Urlaub fliegen. Spätestens seit Greta Thunberg und dem Hashtag #Flugscham wird das immer schwieriger. Das bayerische Unternehmen Caphenia mit Sitz in Bernau am Chiemsee hat eine Technologie entwickelt, die Hoffnung auf die Reisezeit nach der Pandemie machen könnte: Mit Hilfe von Kohlenstoffdioxid (CO₂) sollen synthetische Kraftstoffe hergestellt werden. Das Ziel: CO₂-neutrales Fliegen.

Gerade die Luftfahrtbranche steht in der Kritik, den menschengemachten Klimawandel stark zu befeuern. Laut der Website des Bundesverbands Deutscher Luftverkehrswirtschaft (BDL) ist der globale Luftverkehr für 2,8 Prozent der weltweiten CO₂-Emissionen verantwortlich. Deshalb sei das Ziel des BDL laut Website die CO₂-Emissionen pro Flug jährlich um ein bis eineinhalb Prozent zu reduzieren. Noch gibt es in der Branche keine Möglichkeit, auf Verbrennungsmotoren zu verzichten. Das liegt vor allem daran, dass Akkus, die elektrischen Strom speichern, noch nicht leistungsfähig genug für Flüge sind. Die Bundesregierung legte fest, dass deutsche Flugzeuge bis 2030 mindestens zwei Prozent synthetische Kraftstoffe tanken sollen. Für die Herstellung solcher synthetischer Kraftstoffe hat Caphenia eine Technologie entwickelt. Aus dem Problem soll die Lösung werden: Klimaschädliches CO₂ wird zu Diesel, Benzin oder Kerosin. Dafür wird das Unternehmen auch vom Bundeswirtschaftsministerium gefördert.

"Zur Zeit befindet sich unser Unternehmen in einer Design-Phase", sagt Mark Misselhorn, Geschäftsführer von Caphenia. Anfang des Jahres 2022 soll die Bauphase beginnen: Der erste Reaktor für die Herstellung der synthetischen Kraftstoffe wird im niederbayerischen Deggendorf gebaut. Dieser wird dann in einer Anlage, die nahe des Flughafens Frankfurt am Main in Planung ist, aufgestellt.

"Der Standort bietet sich nicht nur wegen der Nähe zum Flughafen an", sagt Misselhorn. In Frankfurt stehen auch Biogas-Anlagen, die biologische Abfälle wie Grünschnitt oder Klärschlamm verwerten. In Biogasanlagen entstehen die Gase Methan und CO₂. In dem Reaktor von Caphenia kann Methan zu Kohlenstoff und Wasserstoff gespalten werden. Wird Kohlenstoffdioxid hinzugefügt, entsteht auch noch Kohlenmonoxid. Aus Wasserstoff und Kohlenmonoxid werden die synthetischen Kraftstoffe wie Kerosin, Diesel oder Benzin.

Das besondere an der Technologie von Caphenia: Für die hohen Temperaturen in dem Reaktor braucht es zwar Energie, aber deutlich weniger als bei herkömmlichen Prozessen zur Wasserstoffherstellung. "Trotzdem sind wir noch auf Strom angewiesen", sagt Misselhorn. Dafür will er Ökostrom kaufen. Die Technologie könnte aber auch als Übergangslösung eingesetzt werden. "In Bayern, wo es nicht so viele erneuerbare Energiequellen gibt wie in anderen Regionen, könnte Strom aus fossilen Brennstoffen genutzt werden. CO₂ würde trotzdem eingespart werden." So könnten zum Beispiel lokale Reaktoren entstehen, die synthetische Kraftstoffe direkt für bayerische Busunternehmen produzieren. Möglich sei auch eine Kopplung mit dem Flughafen München, so der Unternehmer.

"Ich glaube, dass es im Kampf gegen den Klimawandel nicht nur eine einzige richtige Lösung gibt. Von dieser Vorstellung muss endlich auch die deutsche Politik wegkommen", sagt Misselhorn. Er ist Teil der Arbeitsgruppe Clean Tech des bayerischen Wirtschaftsministeriums. Minister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) teilte schon im Dezember 2020 mit, dass diese Gruppe gegründet wurde, um "mit Vertretern aus Wirtschaft und Wissenschaft die Voraussetzungen für so genannte E-Fuels schnell zu schaffen". Zehntausende Arbeitsplätze, die in Bayern an der Luftfahrtindustrie hängen, sollten dadurch gesichert werden, sagte Aiwanger.

Die Anlage bei Frankfurt soll täglich circa 1200 Liter produzieren. Nach heutigem Stand würde ein Liter ohne Steuern circa 1,20 oder 1,30 Euro kosten. Wie der Kraftstoff letztendlich besteuert wird, ist noch unklar. Der Preis für die Verbraucher wäre am Ende aber wahrscheinlich höher als für fossile Kraftstoffe. "Das könnte die Politik ändern, wenn höhere Steuern für klimaschädliche Kraftstoffe verlangt würden", sagt Misselhorn. Der bayerische Unternehmer ist promovierter Volkswissenschaftler und beschäftigte sich während seiner Promotion auch mit globaler Ungleichheit. Sein Ziel sei es, zukünftigen Generationen aber auch Menschen in anderen Weltregionen nicht den Zeigefinger vorzuhalten, sondern "ihnen die gleiche Freiheit zu ermöglichen, wie wir sie heute genießen", sagte Misselhorn.

Ob die Technologie von Caphenia am Ende wirtschaftlich und wettbewerbsfähig werden kann, wird sich wohl erst in Zukunft zeigen. Aber eines steht schon heute fest: Zur globalen CO₂-Reduzierung braucht es viele verschiedene Ideen und Lösungsansätze. Besser heute als morgen.

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SZ vom 29.03.2021
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