Süddeutsche Zeitung

Hanns-Seidel-Stiftung:Interesse an Politik ist so groß wie seit Jahrzehnten nicht mehr

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Von Lisa Schnell, München

Die Kluft zwischen Alt und Jung scheint gerade eher größer als kleiner zu sein. Man denke nur an die jungen Demonstranten von "Fridays for Future" und ihren Vorwurf an die Älteren, ihre Zukunft verspielt zu haben. Doch offenbar unterscheiden sich Alt und Jung in Bayern in ihren politischen Einstellungen nicht allzu sehr, genauso wenig wie Mann oder Frau. Ihnen allen ist Klima- und Umweltschutz am wichtigsten, zumindest auf Bundes- und Landesebene. Bei den anstehenden Kommunalwahlen interessieren sich die Bayern am meisten für Verkehr und die digitale Infrastruktur. Ihr Interesse an Politik ist so groß wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Die größten Unterschiede ergeben sich weniger zwischen Alt und Jung, als zwischen Stadt und Land.

Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie, die von der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung (HSS) am Montag vorgestellt wurde. "Es ist keine Altersfrage mehr. Die Themen sind fast gleich", sagte Markus Ferber, der seit Januar neuer HSS-Vorsitzender ist. Die Untersuchung wurde von der Gesellschaft für Markt- und Sozialforschung durchgeführt und legt einen Schwerpunkt auf die Einstellungen jüngerer Menschen. Für diese Gruppe aussagekräftige Feststellungen zu treffen, ist besonders schwierig, da junge Menschen in der Bevölkerung unterrepräsentiert seien, sagte HSS-Generalsekretär Oliver Jörg. Für die "Jugendstudie Bayern 2019" aber sind 2000 Menschen befragt worden, darunter ausreichend Jugendliche, sodass ihre Aussagen als repräsentativ gelten. Um vor allem jüngere Menschen zu erreichen, befragten die Forscher auch über Handy und online. Dabei benutzten sie keinen vorgefertigten Fragebogen, gaben also keine Antworten vor.

Mit großem Abstand ist Klima, Umwelt und Energie für 31 Prozent der Bayern die wichtigste politische Aufgabe. Für junge Menschen ist sie mit 41 Prozent noch drängender. An zweiter Stelle steht mit 15 Prozent die Zuwanderung, knapp gefolgt von Fragen der sozialen Gerechtigkeit. Am wenigsten Bedeutung messen die Bayern Verkehr und Mobilität zu. Allerdings gilt das nur für die Bundes- und Landesebene. Geht es darum, was die Menschen von ihrem Stadtrat oder ihrer Bürgermeisterin erwarten, gilt das genaue Gegenteil. Da steht an erster Stelle offenbar die Sorge, ob ein Bus kommt und wie es mit dem schnellen Internet auf dem Land aussieht. Gut ein Drittel interessiert sich bei den Kommunalwahlen für Verkehr und die digitale Infrastruktur, die Jüngeren sogar überdurchschnittlich zu 38 Prozent. Der Klimawandel kommt erst an zweiter Stelle (17 Prozent). Ähnlich hoch bewerten die Bayern die Stadtplanung, Soziales und den Wohnungsnotstand. Umweltthemen seien dominant, sagte Jörg über die Kommunalwahl, "aber sie sind nicht alles".

Das zurzeit brisante Thema Landwirtschaft findet sich in der Studie wohl deshalb nicht, weil die Befragung im Herbst 2019 durchgeführt wurde. Die Unterschiede zwischen Stadt und Land zeigten sich aber auch bei anderen Themen. Im Großraum München etwa interessieren sich die Menschen überdurchschnittlich für den Klimawandel. Für die Franken ist soziale Gerechtigkeit besonders wichtig, die Schwaben folgen dem Sparsamkeitsklischee und brennen überdurchschnittlich für Wirtschaftsfragen. Wie mit Flüchtlingen und Zuwanderung umzugehen ist, interessiert am meisten in kleinen Ortschaften. Weniger in den Grenzregionen, wie vielleicht vermutet, sondern vor allem in Oberbayern.

Egal wo in Bayern, Politik finden die Menschen gerade so spannend wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Während 2001 nicht mal die Hälfte angab, stark an Politik interessiert zu sein, sind es 2019 glatte 60 Prozent. Die Forscher erklären sich das hohe Interesse damit, dass seit 2015 sehr emotionale Themen auf der politischen Agenda stehen: zuerst die Flüchtlingsdebatte und Terrorismus, nun die Klimakrise. Anders als die Aufmerksamkeit für "Fridays for Future" vielleicht vermuten lässt, ist das politische Interesse bei den über 60-Jährigen am größten. Parteien-Stammwähler werden insgesamt immer weniger in Bayern, derzeit sind es noch 52 Prozent, überdurchschnittlich viele gibt es in Großstädten. Dort ist auch die Wahlbereitschaft am höchsten.

Die Forscher fragten zudem ab, wie sich die Bayern über Politik informieren. Nach ihrem unglücklichen Umgang mit einem kritischen Video des Youtubers Rezo fragte sich vor allem die CSU, wie sie jüngere Wähler besser erreichen kann. Informationsquelle Nummer eins für junge Menschen ist der Studie zufolge nicht das Internet, sondern es sind Gespräche mit Freunden oder der Familie. Trotzdem informieren sie sich erwartungsgemäß häufiger online und da vor allem auf Facebook oder Youtube, gefolgt von Instagram und Twitter. Wer aber als Politiker meint, mit einem Profil auf diesen Plattformen sei die Jugend schon erreicht, der irrt. Politiker und Parteien stoßen in sozialen Medien auf recht wenig Resonanz, stellten die Forscher fest. Es gebe eine klare Abneigung, ihnen zu "folgen". Vor allem bürgerliche Parteien täten sich noch schwer in sozialen Netzwerken, sagte HSS-Vorsitzender Ferber.

Zum Schluss fragten die Forscher nach dem sozialen Engagement und sehen "Anlass zum Nachdenken". Am häufigsten gaben fast alle Altersgruppen an, sich in sozialen Medien zu engagieren. Die Forscher gehen davon aus, dass in der Zukunft die klassischen Formen des Engagements etwa in Vereinen oder bei der Kirche zurückgehen wird. Sich bei Facebook oder Twitter zu äußern, reiche für viele als Ersatz.

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SZ vom 04.02.2020
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