Süddeutsche Zeitung

Tierschutz in Landshut:Ein Sommer ohne Schwalben

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Ausgerechnet das Umweltamt entfernt am Landshuter Rathaus ein Vogelnest - weil es stört. Naturschutzexperten sind empört, dabei wäre eine Lösung so einfach gewesen.

Von Lisa Schnell, Landshut

Über Wespen sagte Landshuts Oberbürgermeister Alexander Putz, sie seien wie Stadträte, je mehr man fuchtelt, desto wütender würden sie. Die Stadträte waren beleidigt, ob es den Wespen ebenso ging, ist nicht bekannt. Nun löst der Umgang des Rathauses mit einem anderen Tier Aufregung aus.

Es geht um die Schwalbe, die eigentlich Wespen frisst, aber offenbar trotzdem nicht mit der Tierliebe des Oberbürgermeisters rechnen kann. Ihr Rathaus nämlich wollen Putz und seine Verwaltung für sich alleine haben, Schwalben sind nicht erwünscht. Ein Nest, das sich ein fortpflanzungswilliges Schwalbenpaar dort gebaut hat, wurde entfernt. Und das obwohl die Vögel unter Naturschutz stehen. Die Grünen nennen das "ein starkes Stück", ein politisches Kuriosum ist es allemal: Ausgerechnet das Umweltamt, extra von Putz neu erschaffen und per Definition um Tierschutz bemüht, verstößt wohl gegen das Naturschutzgesetz.

Am Anfang dieser Geschichte steht, wie sollte es anders sein, Corona. Um den Zugang zu einem Testzentrum zu ermöglichen, blieben die Türen zum Rathausfoyer geöffnet. Die Landshuter holten sich ihren Test, die Schwalben bauten ihr Nest. Das reimt sich nicht nur, es war auch gut. Für ein paar Tage zumindest, dann störte das Nest. Letzten Freitag wurde es offenbar auf Anweisung des Umweltamtes entfernt, Ersatznester, wie es das Naturschutzgesetz vorschreibt, wurden laut SZ-Informationen erst fünf Tage später angebracht und zwar laut Stadt im Innenhof. Eine Stelle, die Experten wenig sinnvoll erscheint.

Dass der Innenhof zwar hinter einer Mauer, aber ganz in ihrer Nähe ist, ist für die Schwalben wenig ersichtlich, denn eine Karte können sie nicht lesen. Das dürfte auch dem Umweltamt bekannt sein, darauf haben nach Informationen der SZ Experten der unteren Naturschutzbehörde und vom Landesbund für Vogelschutz (LBV) verwiesen - ohne Erfolg. "Ein klarer Verstoß", sagen die Grünen, der LBV und auch der Oberpfälzer Anwalt Bernd Söhnlein, Spezialist für Umweltrecht. Nester dürften nur entfernt werden, "wenn gleichzeitig Ersatz geschaffen wird". Diese Kunstnester müssten "wirksam" sein, wie der Jurist sagt, soll heißen: Erst wenn die Vögel im neuen Heim angekommen sind, kann das alte weg.

Dabei wäre es so einfach gewesen, sagt Susanne Rieck vom LBV Landshut. Fast jeden Tag war sie am Rathaus und beobachtete die dort schwirrend irrenden Schwalben. Ein Ersatznest direkt unter dem Rathausbalkon wäre von ihnen wohl angenommen worden, meint sie. Da dort aber nun mal keines hängt, könnte es sein, dass es dieses Jahr keinen Schwalbennachwuchs gibt. Warum das nicht nur eine persönliche Tragödie eines Paares mit Kinderwunsch ist, sondern gesamtgesellschaftlich tragisch, kann Rieck gut erklären.

Ein Sommer ohne Schwalben, die in Schwärmen über die Felder ziehen und die Kuhställe bevölkern, ist vielen unvorstellbar. Immer wieder riefen sie Leute an, die entsetzt feststellen, dass ihr Dorf schwalbenfrei sei. Den Schwalben aber fehlt es an Nahrung - zu wenig Insekten - und an Nistplätzen - zu wenig oder unwohnliche Ställe. Gerade Landshut sei da vorbildlich gewesen, sagt Rieck. Nirgends gebe es so viele Schwalben und die letzten Jahre habe es in der Stadt sogar ein Projekt zum Schutz von Brutplätzen gegeben, das deutschlandweit seinesgleichen suche. Und nun das.

Mit dem neuen Amtsleiter der Umweltbehörde, Thomas Rottenwallner, habe man "den Bock zum Gärtner gemacht", sagt Sigi Hagl, Stadträtin der Grünen. Schon in der Vergangenheit habe dieser seinen Job recht eigenwillig ausgelegt. Ende 2020 bewilligte das Umweltamt ein Bauvorhaben des zweiten Bürgermeisters, obwohl das Grundstück auf einem Biotop lag. Hagl fordert nun ein Disziplinarverfahren gegen den Amtsleiter, das wohl wenig Erfolg haben wird. Dafür gebe es keinen Grund, teilt die Stadt Landshut mit. Denn zur Anbringung von Ersatznestern sei sie nicht verpflichtet gewesen, ein Verstoß gegen das Naturschutzgesetz liege ihrer Einschätzung nach nicht vor. Falls doch übrigens müsste das Umweltamt ein Bußgeld für eine Ordnungswidrigkeit verhängen und zwar - gegen sich selbst.

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Quelle:
SZ vom 09.06.2021
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