Süddeutsche Zeitung

Kommunalwahl:"Wir wollen die Rathäuser rocken"

Lesezeit: 5 min

Von Johann Osel, München/Moosburg

Im Bandprobenraum ist gerade Pause, ein paar Burschen lümmeln sich im tiefen Sofa, neben mächtigen Stapeln aus Schlagzeugteilen. Im Café und beim Billard ist noch nicht viel los am frühen Nachmittag. Wird sich bald ändern, denn das Jugendhaus in Moosburg an der Isar kann sich sehen lassen, Angebot und Architektur, alles top. "Eröffnet 2012, am 17. Juli", sagt der grüne Landtagsabgeordnete Johannes Becher. Er weiß das Datum exakt, weil es irgendwie auch sein Jugendhaus ist. Zumindest hat er lange dafür gekämpft, und dieser Kampf hat ihn, 31 Jahre alt und seit 2018 Abgeordneter, überhaupt in die Politik gebracht. Im Moosburger Jugendparlament vor gut anderthalb Jahrzehnten hatten sie den miesen Zustand der alten Bleibe bemängelt, Baufälligkeit und Schimmel - und nicht locker gelassen, bis der moderne Treff am Stadion kam. Ein guter Ort für ein Gespräch über Lokalpolitik.

In die ist Becher hineingerutscht, wollte sich engagieren. Die örtlichen Grünen stellten vor 2008 zwei Stadträte, setzten den Politikanfänger auf Listenplatz drei. Und der holte das Mandat, "das war keine gmahte Wiesn." Als mit Abstand jüngster Stadtrat saß der Studienanfänger in Jura im Gremium, zudem zog er überraschend in den Kreistag ein. "Mit 19, Pferdeschwanz und Zahnspange". Er rät: "Junge, die den Weg gehen wollen, dürfen nicht nur die zeitliche Belastung sehen. Man lernt Leute und Themen kennen, wächst unheimlich persönlich, kann viel rausziehen als Mensch."

In diesen Wochen werden in Bayern die Bewerberlisten für Stadt- und Gemeinderäte und Kreistage aufgestellt. Gremien, die nicht gerade als Tummelplätze der Jugend gelten. Einen Altersdurchschnitt erhebt das Statistische Landesamt nicht, anders als etwa die Geschlechterverteilung (20,1 Prozent Frauenanteil mit der Wahl 2014). Stichproben ergeben aber dieses Bild: Die große Mehrheit ist 50 plus, nicht selten 60 plus; unter 40 lichtet sich das Feld, unter 30 ist man Exot. Zwar ist das politische Interesse junger Erwachsener laut Studien zuletzt gewachsen, das äußerte sich aber bisher allenfalls im "niedrigschwelligen Engagement". Für eine Untersuchung des Bayernforums der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung wurden junge Bayern zwischen 18 und 40 Jahren befragt. Darin gaben mehr als die Hälfte an, privat politisch zu debattieren. Jeder Vierte hat schon mal demonstriert, 70 Prozent haben bei einer Unterschriftenaktion mitgemacht. Konkrete Mitarbeit in einer Partei oder in der Kommunalpolitik? Lediglich drei Prozent in der Generation U 40.

"Es gehören zwei Seiten dazu", sagt die Politikwissenschaftlerin Ursula Münch. So müsse die junge Generation wollen - und dürfen. Generell sei es kaum verwunderlich, dass Gremien so besetzt sind, erklärt die Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing. Ganz Junge müssten sich nach der Schule erst mal um sich selbst kümmern, ihre Zukunft aufbauen, vielleicht den Heimatort verlassen für Studium oder Lehre. Die 30- bis 45-Jährigen seien "in der Rushhour des Lebens", alles geschehe gleichzeitig: sich im Beruf zu etablieren, eine Familie zu gründen, auf dem Land womöglich Hausbau. Keine Zeit für Ehrenamt also. Die Ü 50-Generation habe Konstanten ins Leben gebracht und könne sich Zeit nehmen. Dazu komme, dass Jüngere sich ungern an Parteien binden - weil diese meist "wie aus der Zeit gefallen" auf sie wirkten. Wenn Junge ungestüm alles ändern wollten und die Arrivierten abwinkten, entstehe keine Motivation. "Die Parteien versagen überwiegend bei ihrer Kernaufgabe, politischen Nachwuchs zu rekrutieren." In den Parteizentralen sei das Problem erkannt, dringe aber wenig zur Basis.

Ursula Münch empfiehlt den Marsch durch die Institutionen, ...

... Maximilian Funke-Kaiser, ...

... Nicola Gehringer ...

... und Johannes Becher sind schon unterwegs.

Nicht zuletzt gelten kommunale Themen als "nicht chic", sagt Münch, "aber zu Unrecht". Das sehe man auch in der Politikwissenschaft, wo sich Studenten am liebsten auf Themen wie internationale Beziehungen stürzten. Dabei gehe es in den Kommunen "wahrlich nicht nur um Bauleitplanung und Zebrastreifen - sondern um Flüchtlinge, Klimaschutz, Digitalisierung. "Hier entscheidet sich, ob Bürger zufrieden sind mit der Demokratie an sich."

Er werde auch mal nach Mitternacht in der Bar angesprochen wegen einer Ampelschaltung, sagt Becher. "Du hast keinen Feierabend, ich hab' dich gewählt", höre er da. "Das ist eine kleine Sache, aber für denjenigen von größter Wichtigkeit." Das nicht wichtig zu nehmen, wäre ein Fehler.

Bei den Themen habe er damals als Novize versucht, fehlende Erfahrung zu kompensieren durch Neugier und gute Vorbereitung. Das sei für die Kollegen zuweilen nervig gewesen, wenn sich Sitzungen zogen wegen seiner Nachfragen. Und natürlich habe er auch gehört: "Du bist zu jung für das alles, ohne Lebenserfahrung." Aber die Reaktionen auf den Ganz-Jung-Stadtrat waren meist positiv, im Wahlkampf bereits. Obwohl Becher da frech war und Kabarettkünste aufbot: Er sang Gstanzl über die Befürworter der dritten Startbahn am Münchner Flughafen in anderen Parteien, mitten am Marktplatz. "Ein Stadtrat voller 19-Jähriger wäre natürlich nicht das Richtige", meint Becher, "man braucht eine gute Mischung. Und Jugend allein ist keine Qualität." Aber sie biete andere Blickwinkel abseits des "Des-hamma-immer-scho-so-gmacht". Viele jüngere Leute hätten akut "das Gefühl, dass Dinge grundlegend in die falsche Richtung laufen", siehe Klima, "der Frage unserer Lebensgrundlagen".

Die Jungen in Bayern begehren auf? Aufbruch ist tatsächlich überall spürbar. Kommunalwahlen seien für die Junge Union "die wichtigsten Wahlen", sagt JU-Landesgeschäftsführerin Nicola Gehringer: "Wir wollen die Rathäuser rocken." Die CSU sei im Umbruch, und das Credo von Parteichef Markus Söder, jünger und weiblicher zu werden, "ist keine leere Worthülse. Alle CSU-Verbände wollen das umsetzen, das merken wir auf allen Ebenen, auf denen gerade Listen aufgestellt werden". In 13 Landkreisen, darunter Günzburg und Eichstätt, und in vielen Städten und Gemeinden werde die JU mit eigener Liste antreten. Eine Änderung des Kommunalwahlrechts 2018 erlaubt dies. Auch wenn mancherorts, so hört man, die CSU nicht recht glücklich ist über den "Mitbewerber" aus dem eigenen Stall. Die Jungen Freien Wähler (JFW) setzen in Kreis und Stadt Landshut auf eigene Listen. Er merke, sagt JFW-Landeschef Felix Locke, dass sich Jüngere "nach dem Einstiegsthema Umwelt" jetzt "nach ideologiefreier, basisorientierter Politik sehnen". In seiner Stadt Lauf an der Pegnitz gebe es "die jüngste Liste aller Zeiten", zehn der 30 Kandidaten stellten die JFW.

Bei den bisherigen Listenaufstellungen sind viele Junge Liberale auf die FDP-Listen gewählt worden, berichtet Juli-Landeschef Maximilian Funke-Kaiser - nicht nur in den Städten, auch auf dem Land. Sogar voraussichtlich fünf Landratskandidaten werde der FDP-Nachwuchs stellen, zum Beispiel in den Kreisen Oberallgäu und Dingolfing-Landau. Bei den Jusos heißt es, in den Ortsvereinen kämpften junge Mitglieder dagegen, dass die SPD "als Partei alter Männer wahrgenommen" werde. "Erfolgversprechende Kandidaturen sind stellenweise bereits gelungen", meldet auch Sven A. Kachelmann, Chef des AfD-Nachwuchses Junge Alternative. Die Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen hätten gezeigt, dass die AfD überdurchschnittlich häufig U 30-Wähler anspreche. Der Grüne Becher will wieder in den Stadtrat, wird aber nicht mehr Jungspund sein. Einer unter 25 soll einen Top-Platz erhalten. Insgesamt geht er davon aus, dass seine Partei jung antritt im Freistaat. "Es gehört bei uns Grünen zur Kultur, dass man nicht erst mal 20 Jahre am Infostand stehen muss."

Es sei wünschenswert, dass sich die Klimaproteste auf allen politschen Ebenen niederschlagen, meint Professorin Münch. Sie empfiehlt "einen Marsch durch die Institutionen" - "nur anprangern und die Älteren schimpfen, was sie alles verbockt haben, reicht nicht". Die junge Generation müsse sich bewusst sein, "dass kontinuierliches Engagement nötig ist, dort, wo Politik gemacht wird". Das sei auch "eine gute, wenngleich beschwerliche Schule, um politisches Verständnis zu erlernen und den Kompromiss - und zu akzeptieren, dass es völlig entgegengelagerte Interessen gibt, man aber trotzdem einen Weg findet."

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Quelle:
SZ vom 14.10.2019
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