Süddeutsche Zeitung

Klimakrise:Stadtbäume gegen die Hitze

Lesezeit: 3 Min.

Der Bund Naturschutz fordert, dass die bayerischen Kommunen mehr für den Erhalt ihrer Alleen und grünen Plätze tun - "ansonsten wird das Leben in ihnen in nicht allzu ferner Zukunft unerträglich", sagt Verbandschef Richard Mergner.

Von Christian Sebald, München

Man glaubt es kaum: Eine 60 Jahre alte Linde hat aufs Jahr gesehen die gleiche Kühlleistung wie 140 Kühlschränke. So sagt das Christopher Busch, Baumexperte beim Bund Naturschutz (BN), unter Berufung auf Forschungen der TU München. "Ein ausgewachsener Laubbaum verdunstet an einem heißen Sommertag locker 400 Liter Wasser", sagt Busch, "dadurch kühlt er die Umgebung enorm ab". Der Schattenwurf durch das Kronendach sei da aber noch nicht eingerechnet. "Bei einem Kronendurchmesser von 15 Metern bedeckt der Schatten je nach Sonnenstand eine Fläche von mindestens 170 Quadratmetern", sagt Busch. "Der Schattenwurf kühlt zusätzlich zur Verdunstung."

Passend zu den zurückliegenden Hitzetagen fordert der BN jetzt, dass Freistaat und Kommunen den Schutz der Bäume in den Städten stärken. "Die Klimakrise zeigt: Ohne Bäume und anderes Grün wird es in den Städten immer öfter unerträglich heiß", sagt der BN-Vorsitzende Richard Mergner. "Die Stadtbäume sind von zentraler Bedeutung für die Anpassung der Kommunen an die Klimakrise." Das Credo des BN-Chefs lautet: "Wenn immer mehr Flächen zugebaut und zugepflastert werden, heizen sich die Städte stark auf. Wenn wir hier nicht die Reißleine ziehen, wird das Leben in ihnen in nicht allzu ferner Zukunft unerträglich."

Die Forderungen des BN: Der Freistaat soll die Kommunen verpflichten, sogenannte Baumschutzverordnungen zu erlassen, in denen Erhalt und Pflege der Stadtbäume, aber auch die Fälle geregelt sind, in denen sie ausnahmsweise gefällt werden dürfen. Aktuell haben erst hundert der gut 2000 Kommunen in Bayern solche Regelwerke. "Sie sind aber die Basis für den besseren Schutz der Stadtbäume", sagt Mergner. Außerdem fordert der BN Baumkataster, in denen die Kommunen ihre Baumbestände aufschlüsseln. "Viele Kommunen wissen nicht einmal, wo überall Bäume auf ihrem Gebiet stehen", sagt Mergner. "Mit moderner Digitaltechnik sind solche Kataster aber einfach zu erstellen ."

Freistaat soll sich zum Erhalt der Stadtbäume bekennen

Auch der Freistaat soll sich zum Erhalt und zur Pflege der Stadtbäume bekennen und die Bayerische Bauordnung entsprechend anpassen. "Es darf nicht länger sein, dass Stadtbäume einfach weggeräumt werden, wenn sie einem Bauprojekt im Wege stehen", sagt Mergner. "Das können wir uns in der Klimakrise nicht länger leisten." Die Bayerische Bauordnung gibt laut Mergner aktuell Bauprojekten klar den Vorzug vor dem Erhalt der Bäume auf dem Baugrundstück. Dabei sagen auch staatliche Experten schon seit vielen Jahren, dass möglichst viel Grün in den Städten die beste Anpassungsstrategie für sie an die Klimakrise ist.

Wie nachlässig vor allem Großstädte aber bisher mit den Bäumen auf ihrer Flur umgehen, zeigt eine Abfrage des BN. Danach sind in den 17 größten Städten des Freistaats in den vergangenen zehn Jahren wenigstens 165 000 Bäume gefällt worden. Absoluter Spitzenreiter ist die Landeshauptstadt München. Alleine dort wurden zwischen 2011 und 2021 knapp 100 000 Bäume umgelegt, eineinhalb Mal so viele wie in den anderen 16 Kommunen zusammen. Die Gesamtzahl ist nach Worten des Baumexperten Busch die absolute Untergrenze der Fällungen. "Zum einen führen die Städte sehr unterschiedliche und oft nur rudimentäre Statistiken", sagt Busch. "Einige erfassen nur die Bäume auf öffentlichem Grund, andere die in privaten Gärten, wieder andere haben nur Daten zu Bäumen entlang ihrer Straßen."

Die Defizite werden nicht viel besser, wenn man die Nachpflanzungen gegenrechnet. Die Bilanz fällt dann zwar in einigen Städten, darunter Ingolstadt, Fürth und Erlangen, positiv aus. Aber in der Mehrzahl bleibt sie negativ. Bayernweit sind denn auch knapp 35 000 Stadtbäume weniger neu gepflanzt worden, als alte gefällt wurden. Hinzukommt, dass Nach- oder Ersatzpflanzungen längst nicht die gleichen positiven Auswirkungen haben wie ihre in aller Regel etliche Jahrzehnte alten Vorgänger. Die Linde zum Beispiel, die als Stadtbaum sehr beliebt und Symbolbaum des BN ist, wächst 25 bis 50 Zentimeter im Jahr in die Höhe. "Es dauert also 25 Jahre, bis eine neu gepflanzte Linde eine mittlere Größe von zehn Metern erreicht hat", sagt Mergner. "Aber erst dann kann sie ihre positive Wirkung für das Stadtklima entfalten."

In Veitshöchheim haben sie den Stadtbaum der Zukunft erforscht

Dabei fehlt es nicht an Empfehlungen für die Kommunen. An der Veitshöchheimer LWG haben sie mehr als zehn Jahre den Stadtbaum der Zukunft erforscht - also Baumarten, die besonders gut mit Hitze und Trockenperioden, aber zum Beispiel auch Starkregenfällen und anderen extremen Wetterlagen zurechtkommen, wie sie wegen der Klimakrise immer häufiger werden. Unter ihnen sind der Italienische Ahorn (Acer opalus), der im Mittelmeerraum beheimatet ist, und die Amerikanische Linde (Tilia americana). Beide kommen nicht nur mit heißen Temperaturen und Dürrezeiten besser zurecht als manch heimischer Baum. Sondern sie sind auch schön anzusehen, vor allem im Herbst. Dann verfärbt sich das Laub des Italienischen Ahorns leuchtend orange oder rot, das der amerikanischen Linden strahlend gelb.

Insgesamt haben die LWG-Forscher 30 Baumarten erforscht. Dazu gehört auch ein groß angelegter Praxistest in den Städten Würzburg, Hof und Kempten. Dort sind annähernd 700 Exemplare der 30 Arten angepflanzt worden, die Forscher haben über Jahre hinweg untersucht, wie sie sich in den drei Regionen machen. Aus den Ergebnissen haben sie Pflanzempfehlungen entwickelt, auf dass eine jede Stadt ihre Bäume der Zukunft auswählen kann. Gut möglich also, dass man den Italienischen Ahorn und die Amerikanische Linde in Zukunft öfter antrifft in bayerischen Städten. Bisher sind sie nämlich sehr selten hierzulande.

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