Süddeutsche Zeitung

Schrobenhausen:Der Bayerische Jagdverband verschiebt den Neustart

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Von Rudolf Neumaier, München

Den Bayerischen Jagdverband gibt es weiterhin. Das ist erst mal die wichtigste Nachricht, und so banal sie auch klingt: Es handelt sich keineswegs um eine Selbstverständlichkeit. Denn wären die ärgsten Befürchtungen eingetroffen, die in der Verbands-Geschäftsstelle vor der außerordentlichen Delegiertenversammlung kursierten, dann hätte es den Jagdverband an diesem Schicksalstag in Schrobenhausen komplett zerlegt. Die Demission ihres Präsidenten Jürgen Vocke, dem die Staatsanwaltschaft mit Durchsuchungen zu Leibe gerückt ist, hat tiefe Gräben gerissen. Nun aber haben die Jäger Frieden geschlossen. In fünf Monaten beim Landesjägertag in Lindau planen sie einen Neustart.

Nicht weniger als 49 Anträge waren für die Versammlung eingereicht. Zum Beispiel forderten die Kreisgruppen Altötting und Traunstein die Ablösung des gesamten Präsidiums. Angesichts dieses Programms hätten die Delegierten eigentlich mit Schlafsäcken und Zahnbürsten anreisen müssen. Oder mit Boxhandschuhen - so verfeindet, wie sie waren. Die Versammlung in einer gediegenen Konferenzhalle dauerte dann rekordverdächtig lang für Jagdverbands-Verhältnisse: fünf Stunden. Aber dann doch ziemlich kurz, weil nicht alle 49 Anträge zu behandeln waren. Denn das Präsidium legte den Teilnehmern einen Befriedungsantrag vor, der mit 94 Prozent Zustimmung erfolgreich war.

Dieser Befriedungsbeschluss sieht etwa eine Neuwahl des Präsidiums beim Landesjägertag im kommenden März vor. Das heißt, dass alle gewählten Mitglieder dieses Gremiums zurücktreten werden. Die Delegierten können Funktionäre abwählen, denen sie wie die Traunsteiner Kreisgruppe eine Mitverantwortung bei den Vorgängen zuschreiben, die zur Anzeige und zu den Ermittlungen gegen Vocke, 76, führten. Unterschrieben war der "Befriedungsantrag" von "Prof. Dr. J. Vocke". Er selbst nahm an der Versammlung nicht teil. In einer "Vorbemerkung" zum "Befriedungsantrag" hatte er aber zugesichert, dass er auf weitere finanzielle Vergütungen verzichte und sein Amt wirklich ruhen lasse.

Vockes Kritiker vermuten, er könnte den Verband finanziell geschädigt haben. Seine Anhänger hingegen sprechen von Intrigen und von einem Putsch gegen ihn. Ein unabhängiger Wirtschaftsprüfer gelangte zur Auffassung, dass wegen diverser Zahlungen unter Vockes Ägide die Gemeinnützigkeit des Verbandes auf dem Spiel stehe. Das Präsidiumsmitglied Andreas Ruepp, ein Polizist aus Memmingen, zeigte den Verbandschef im August wegen des Verdachts der Unterschlagung und der Untreue an. Vockes Anhänger forderten in Schrobenhausen Ruepps Rücktritt. Der zeigte sich unbeeindruckt.

Schreder initiierte auch den Befriedungsantrag

Medienvertreter waren bei dieser Versammlung ausgeschlossen. Umso offener äußerten sich die Teilnehmer in den knapp 50 Wortmeldungen. Manche von ihnen seien sogar aggressiv aufgetreten, berichten Teilnehmer. An der Zahl der Wortmeldungen und am Beifall sei vernehmbar gewesen, dass etwa ein Drittel der Kreisgruppen-Vertreter hinter Vocke steht. Tendenziell hätten sich Nord-Süd-Differenzen abgezeichnet, wobei fränkische Vertreter eher zum Vocke-Lager zählten als Delegierte aus altbayerischen Regierungsbezirken. Wie glatt die Befriedung befürwortet wurde, spricht dann allerdings für ein kollektives Anliegen: den Neustart.

Als Vizepräsident mit den meisten Stimmen führt den Jagdverband satzungsgemäß Thomas Schreder zusammen mit Schatzmeisterin Mechtild Maurer kommissarisch. Zugleich arbeitet Schreder hauptberuflich als Sprecher und als Geschäftsführer einer Tochterfirma des Verbandes, der BJV-Service GmbH. Schreder initiierte auch den Befriedungsantrag. Für die Schicksalssitzung von Schrobenhausen hatte er einen professionellen Moderator engagiert, dessen Firma auf Krisenkommunikation spezialisiert ist.

Dieser Moderator intervenierte, wenn Redner allzu feindselig auftrumpften. Nach der Versammlung durfte sich Schreder auf die Schulter klopfen lassen. Er sagte, es herrsche Aufbruchstimmung, der Verband könne sich endlich wieder Sachfragen widmen. Darüber hinaus werde er bis zum Landesjägertag in Lindau alle offenen Fragen zur Verbandsführung unter Vocke aufarbeiten und eine Satzungsänderung vorbereiten, die dem Präsidium auf Kosten des Vorsitzenden mehr Mitsprache einräumt.

Thomas Schreder, 53, will selbst Präsident werden. Einerseits kann er nun für sich verbuchen, dass er den Jagdverband vor dem Zerfall bewahrt hat. Andererseits werfen ihm einige Kreisgruppenleiter vor, er habe als einer von Vockes Stellvertretern nicht genau genug hingeschaut, wie das Geld des Verbandes verwendet wurde. Schreder muss mit Gegenkandidaten rechnen, womöglich aus der Landespolitik. Es kursierten die Namen von Wirtschaftsstaatssekretär Roland Weigert (FW), 51, sowie von den CSU-Abgeordneten Alexander Flierl, 49, und Ernst Weidenbusch, 56.

Einig waren sich die Delegierten darüber, dass es im kommenden Jahr keinen Jahresempfang geben wird. Diese Veranstaltung war legendär: Vocke hielt pompös Hof, der BJV bewirtete mehr als 1500 Gäste. "Jetzt ist Bescheidenheit angesagt", sagte Schreder.

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Quelle:
SZ vom 28.10.2019
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