Süddeutsche Zeitung

Hochschulpolitik:Wir sind so frei

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Verbote sprechen immer die anderen aus, die CSU versteht sich als Hüterin der Freiheit, der "liberalitas bavariae". Nur beim Gendern ist es anders, da hagelt es Verbote für Schulen und Unis. Und dort fragt man sich, wo bitte das Problem sei.

Kolumne von Anna Günther

Die Grünen passen nicht zu Bayern, sagt Ministerpräsident Markus Söder (CSU) seit Monaten, weil sie alles verbieten, was das bayerische Lebensgefühl ausmache. Die CSU dagegen sieht sich als Hüterin der Freiheit im Freistaat und trägt die liberalitas bavariae vor sich her wie eine Monstranz. Im Alltag gilt dann aber: bittschön zu Bedingungen der Staatsregierung. Jüngstes Beispiel ist die Gender-Debatte. In seiner Regierungserklärung sagte Ministerpräsident Markus Söder (CSU), dass die Staatsregierung gegen Verbotspolitik sei. Aber Gendern an Schulen und staatlichen Institutionen soll in Bayern verboten werden. Dabei hatte Kultusministerin Anna Stolz (FW) kurz zuvor erklärt, dass man kein Verbot brauche, weil kein Genderzwang an Schulen herrsche, sondern die gültigen Rechtschreibregeln.

Auch Wissenschaftsminister Markus Blume (CSU) plädiert fürs Genderverbot an Bayerns Hochschulen. Kürzlich erzählte er der Augsburger Allgemeinen von Beschwerden, wonach Studenten schlechter benotet wurden, weil sie nicht gendern. Bei Unis nachgefragt, gibt es diese Fälle praktisch nicht. Auch die Studierendenvertreter - meist mit Verve für benachteiligte Kollegen und im Zweifel für politisch korrektes Verhalten eintretend - wissen von nichts. Sie fragen sich nun öffentlich, ob Blume nichts Wichtigeres zu tun hat, als sich auf "populistische Behauptungen" einzulassen.

Als Dienstherr kann Blume den Unis zwar anordnen, keine Gendersternchen oder das Binnen-I zu verwenden. Aber er hat keinen Einfluss darauf, wie Studierende schreiben oder sprechen.

Dass es viele gibt, die von gendernden Moralwächtern genervt sind, geschenkt. Dass die CSU diese Leute abholen will und nicht der AfD überlassen, fein. Aber immer wieder ein Problem zu beklagen, wo offenbar keines ist, macht unglaubwürdig.

Einen "Kampfbegriff" nennt auch der Historiker Egon Greipl die liberalitas bavariae im Bavarikon, dem bayerischsten aller Lexika. Das bayerische Selbstverständnis basiert auf einem Grammatikfehler: Am Pollinger Augustinerchorherrenstift steht liberalitas bavarica, gelobt werden die großzügigen Kirchen-Stifter . Der Gender-Debatte täte dagegen mehr Cicero gut und eine gehörige Portion freisinniges Denken, Handeln und wohlwollende Gesinnung.

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