Süddeutsche Zeitung

Unfall-Pressekonferenz des DAV:Weniger Tote trotz Berg-Boom

Lesezeit: 3 min

Im Corona-Jahr sind weniger Mitglieder des Deutschen Alpenvereins (DAV) ums Leben gekommen als je zuvor in den vergangenen 70 Jahren. Doch es gibt auch Ausreißer in der Statistik.

Von Viktoria Spinrad, München

Es ist ein historischer Tiefstand: Trotz des Booms beim Bergsport sind im vergangenen Jahr weniger Mitglieder des Deutschen Alpenvereins (DAV) ums Leben gekommen als je zuvor in den vergangenen 70 Jahren. Das teilte der DAV am Mittwoch auf seiner jährlichen Unfall-Pressekonferenz mit. Insgesamt kamen 2020 28 DAV-Mitglieder ums Leben - halb so viele wie im Jahr zuvor (56), in dem es aber vergleichsweise viele Todesfälle gab. Die Sorge, dass der pandemie-bedingte Ansturm auf die Berge die Unfälle nach oben schnellen lassen könnte, habe sich nicht bestätigt, sagte DAV-Sprecher Thomas Bucher.

Es waren eindringliche Appelle, die der Verein im Lockdown an seine Mitglieder gerichtet hatte. Über die sozialen Medien rief er dazu auf, zurückhaltend unterwegs zu sein, um die Intensivstationen nicht noch weiter zu belasten. Der Aufruf kam in einer Zeit, in der das Berggehen für viele zum einzigen Ventil für den Lockdown-Frust wurde und es an den Wochenenden in den Bergen immer voller wurde. Dabei waren viele aber offenbar defensiv unterwegs. "Es ist wahrscheinlich, dass viele Menschen die Appelle der Alpenvereine zur Zurückhaltung ernst genommen haben", sagte Lukas Fritz vom DAV.

Insgesamt setze sich der langfristige Trend sinkender Not- und Unfälle in fast allen Bergsportdisziplinen fort, wie es weiter hieß. Aber es gibt auch Ausreißer.

Wandern

"43-Jähriger stürzt in Allgäuer Alpen in die Tiefe", "Erfahrener Bergwanderer stürzt an der Reiteralpe in den Tod" - so oder ähnlich lauten die Schlagzeilen. Dabei handelt es sich oft um ältere Menschen, die am Berg abrutschen und in die Tiefe stürzen. Weil dort die meisten DAV-Mitglieder unterwegs sind, gibt es beim Berggehen auch die meisten Unfälle und Notlagen. Im Jahr 2020 stieg die Zahl - im Vergleich zum Vorjahr - von 292 auf 307, die Zahl der tödlichen Unfälle sank von 17 auf zwölf.

Der DAV betonte, dass das Berggehen per se nicht gefährlich sei: Wenn man die Zahlen in Beziehung setze, "dann bekommt man geringeres Risiko", sagte Lukas Fritz von der DAV-Sicherheitsforschung. Die Ursachen lägen häufig bei internistischen Gründen wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, so Fritz. Statistisch könne man 228 Tage Bergwandern gehen, bis man eine Verletzung erleide. Sein Fazit: "Wenn man die Menschenmassen in den Bergen sieht, passiert relativ wenig."

Klettersteig

Eisenleitern, Stahlseile, Felspassagen: Klettersteige haben in den vergangenen Jahren einen regelrechten Boom erlebt. Immer mehr Gipfel werden verdrahtet und mit Eisenstiften und Metallleitern zugänglich gemacht. Viele Eltern nehmen ihre Kinder mit. Ein Trend, den man beim DAV kritisch sieht. Im Jahr 2020 starben drei Mitglieder. Während die Unfälle in anderen Bereichen zurückgehen, stieg die Zahl der Einsätze von 54 auf 69. Oft waren es weniger Stürze als überforderte Kinder, die nicht mehr vor- oder zurückkönnen und gerettet werden müssen.

"Auf diesen Trend sind wir nicht stolz", sagte Fritz. Dennoch appellierte er, nicht den Helden zu spielen, sondern lieber früher als zu spät den Notruf abzusetzen. Wie dramatisch hierbei falsche Entscheidungen sein können, zeigt ein Unfall aus der vergangenen Woche. Weil er und seine Tochter bei einer Tour im Zillertal nicht mehr weiterkamen, hängte sich der 43-Jährige aus. Er stürzte mindestens 20 Meter in die Tiefe und starb.

Mountainbiken

Auch beim Mountainbiken ist der Unfalltrend gegenläufig. Kein Wunder: Der langjährige Trendsport wird immer mehr zum Breitensport, gerade im Jahr 2020 wurden "Downhill" und "Freeride" zum Mittel gegen den Corona-Blues. Rad-Verkäufer melden teils doppelt so hohe Absatzzahlen. Das zeigt sich auch an den Unfallzahlen. Während sich 2019 noch 38 Biker verletzten, waren es 2020 schon 65. Ein Münchner Mountainbiker stürzte im November mehr als 100 Meter in den Tod - statistisch bleibt es damit bei einem tödlichen Unfall.

Die allermeisten Biker (92 Prozent) stürzen ohne Fremdeinwirkung, die meisten wegen Fahr- und Bremsfehlern. Der DAV stellte sich am Mittwoch gegen den Eindruck, dass es zwischen Fußgängern und Bikern zunehmend zu Konflikten kommt: "Uns wurde kein Unfall gemeldet, bei dem ein Radfahrer und ein Fußgänger zusammengestoßen waren", so Fritz.

Skitouren

Felle drauf, los, Ende. Wer sich im vergangenen Frühjahr angesichts geschlossener Liftanlagen die Tourenski anzog und über die Grenze nach Österreich wagte, wurde teils noch an Ort und Stelle zu einem Bußgeld verdammt. Weil es dazu auch noch überdurchschnittlich warm war und in Bayern viele Tourenmöglichkeiten wegfielen, sank auch die Zahl der Unfälle.

79 DAV-Tourengeher gerieten 2020 in Not, 16 weniger als im Vorjahr. Ein 55-jähriger Münchner starb in den Schlierseer Bergen, er brach nach Erreichen des Gipfels zusammen. 2019 waren zwei DAV-Mitglieder beim Skitourengehen gestorben. In Zukunft dürfte es wieder mehr Unfälle geben: Nach DAV-Schätzungen hat sich die Zahl der Skitourengeher seit Anfang der 2000er auf mehr als eine halbe Million verdreifacht.

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Quelle:
SZ vom 19.08.2021
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