Süddeutsche Zeitung

Jugendherbergen:Endlich wieder Klassenfahrt

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Bayerns Jugendherbergen waren während der Corona-Pandemie lange verwaist, nun kommen die ersten Schulklassen zurück. Doch bis alles wieder normal sein wird, vergeht wohl noch einige Zeit.

Von Gregor Grosse, Oberammergau

Sie freuen sich, wieder unter Leuten zu sein und gemeinsam etwas erleben zu können: Anamika, Sophia, Magdalena, Pelagia und Sarah, alle 13 oder 14 Jahre alt. Am Tag zuvor standen die fünf Klassenkameradinnen noch auf dem Gipfel des Pürschlings. Die mehrstündige Wanderung sei zwar "extrem anstrengend" gewesen, aber der Ausblick auf die Zugspitze und besonders die abschließende Fahrt mit der Sommerrodelbahn waren die Mühe allemal wert, da sind sich die Mädchen einig. Das Programm für diesen Tag ist dafür etwas entspannter: Zuerst geht es ins Schwimmbad und abends ist ein gemütliches Lagerfeuer geplant.

Die Klasse 8a der Freien Waldorfschule Wendelstein bei Nürnberg ist endlich wieder auf Klassenfahrt - nach einem Jahr. Und was für einen schönen Ort haben sie sich dafür ausgesucht. Die Jugendherberge am Rand von Oberammergau besticht nicht nur durch ein modernes Erscheinungsbild. Die großzügig gestaltete Unterkunft mit 142 Betten auf 30 Zimmern hat noch einiges mehr zu bieten: eine 14 Meter hohe Kletterwand im Gebäude und dazu einen Billard-, Tischtennis- und Boulderraum - um nur ein paar Beispiele zu nennen. Dazu kommt die atemberaubende Landschaft der Ammergauer Alpen, nur ein paar Meter weiter plätschert die Ammer vor sich hin. Ein Panorama - wie gemacht für die Postkarte.

Die bayerischen Jugendherbergen mussten lange Zeit auf die Öffnung und auf Schulklassen warten. Klassenfahrten machen immer noch das Hauptgeschäft aus. Die Pforten der Jugendherberge in Oberammergau sind seit einigen Wochen wieder aufgesperrt. Ihr Leiter Daniel Eisfeld freut sich darüber mindestens so sehr wie die 8a aus Wendelstein. "Der finanzielle Schaden durch den Lockdown war schon enorm", sagt Eisfeld. Laut einem Sprecher des Deutschen Jugendherbergswerks (DJH) haben die bayerischen Jugendherbergen mit einem 60-prozentigen Rückgang der Umsätze im Jahr 2020 zu kämpfen. Dabei sei auch problematisch, dass vom Kultusministerium nur wenig Planungssicherheit ausgehe.

Obwohl die Jugendherbergen wieder öffnen durften, ist der Andrang von Schulklassen deutlich geringer als noch vor der Pandemie. Das liegt hauptsächlich an der unklaren Haltung des bayerischen Kultusministeriums. Denn bis vor wenigen Wochen hat das Ministerium noch explizit von Schülerfahrten abgeraten. Verboten sind sie jedoch nicht. "Lehrer und Schulleiter müssen da schon voll dahinterstehen - die meisten wollen natürlich nichts riskieren", erzählt Eisfeld. Das hat auch zu deutlicher Kritik des DJH-Präsidenten Klaus Umbach geführt. Er verweist in einer Mitteilung auf andere Bundesländer, die mit dem Thema Klassenfahrten weitaus lockerer umgehen. Bayern sei hierbei "Klassenletzter". Das habe dazu geführt, dass statt bayerischer eher Klassen aus Hamburg, Nordrhein-Westfalen oder Hessen in den Jugendherbergen im Freistaat ihre Klassenfahrten verbrachten.

Mittlerweile zeigt sich aber auch das Kultusministerium etwas offener, was das Thema anbelangt. Auf seiner Homepage wird nun nicht mehr von Klassenfahrten abgeraten, sondern es werden Kriterien vorgegeben, die von den Schulen einzuhalten sind. Dem DJH zufolge sei das ein "Schritt in die richtige Richtung". Das merke man an der steigenden Nachfrage.

Das bestätigt auch Eisfeld, die Buchungen für den Herbst sehen ihm zufolge gut aus. "Hoffentlich dürfen wir dann auch alle aufnehmen", sagt der 44-Jährige. Der Herbergsvater ist sich - genau wie das DJH - sicher, dass Klassenfahrten bedenkenlos organisiert werden können. Anstecken könne man sich überall, aber es werde alles unternommen, dass so etwas nicht passiere: "Wir putzen uns dafür die Finger wund", sagt Eisfeld. Außerdem gelten die üblichen Hygieneregeln, und jeder Gast muss bei der Ankunft, solange er nicht vollständig geimpft ist, einen negativen PCR- oder Antigentest vorweisen. Ein gewisses Risiko besteht natürlich trotzdem, wenn eine Schulklasse mit 18 Kindern in einem Gebäude unterkommt. Klassenleiterin Eva Ney macht sich bei ihrer Klasse jedoch wenig Sorgen, was die Einhaltung der Corona-Regeln angeht. "Das ist schon so eingespielt - die machen das komplett eigenständig", sagt sie.

Ney betont, wie wichtig Klassenfahrten für die Schüler seien, insbesondere nach einer solch langwierigen Ausnahmesituation. "Die meisten haben sich unglaublich streng an die Corona-Regeln gehalten und hatten kaum Kontakt zu anderen Kindern", sagt sie. Einige Schüler seien zwischendurch "komplett ausgestiegen". Viele hatten mit psychischen Problemen zu kämpfen. Der einwöchige Ausflug nach Oberammergau sei daher auch als Gegenpol zu der monatelangen Isolation zu verstehen. "Die Schüler haben gar nicht mehr gewusst, wie es ist, zusammen zu sein und gemeinsam etwas zu unternehmen - die brauchen das", sagt Ney.

Daran besteht auch bei den Schülern der 60-jährigen Klassenleiterin kein Zweifel. Es sei schön, mal wieder was mit den Freunden zu unternehmen und dabei noch die Natur genießen zu können, so lautet der Tenor. Die grundsätzliche Corona-Politik in Deutschland und Bayern bewerten die Klassenkameradinnen überraschend nüchtern. Es sei eben eine neue Situation gewesen und die Maßnahmen zum Schutz für alle gedacht. Optimal gelaufen sei trotzdem nicht alles. "Dass Tausende Leute ins Fußballstadion gehen dürfen und wir im Unterricht und auf dem Pausenhof Masken tragen, finde ich schon fragwürdig", sagt eine Schülerin.

Die bayerischen Jugendherbergen hoffen sehnlichst auf das Herbstgeschäft mit möglichst vielen Schulklassen. "Davon leben wir", sagt Eisfeld. Die Angst vor dem nächsten Lockdown ist groß. "Wenn ab September keine Klassen kommen dürfen, müssen wir überlegen, ob die Jugendherberge noch wirtschaftlich zu betreiben ist", sagt der Herbergsvater. Die Schüler aus Wendelstein haben ihre Zeit in Oberammergau jedenfalls genossen. "Hier würden wir schon gerne noch mal hinfahren - nicht nur wegen der Rodelbahn", sagt eine Schülerin.

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SZ vom 30.07.2021
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