Süddeutsche Zeitung

Neubausiedlungen in Bayern:Das Elend des Eigenheims

Lesezeit: 1 min

Anstatt die immer gleichen und langfristig unrentablen Neubau-Träume zu verwirklichen, sollten Paare in Bayern über flexible Tiny-Houses nachdenken. Wenn nur nicht die Baugesetzgebung so rigide wäre.

Glosse von Sebastian Beck

Neubaugebiete verraten mindestens so viel über ein Land und seine Bürger wie soziologische Studien. Das fängt schon damit an, dass Häuser zwischen Poing und Plattling fast überall gleich aussehen und die Straßen gleiche Namen tragen. Okay, die Zugspitzstraße heißt in Ostbayern Arberstraße.

Die Altstadt von Passau hingegen unterscheidet sich im Baustil fundamental von Nördlingen, gemeinsam haben beide Städte allenfalls, dass die Menschen dort einst schützende Nähe suchten, während heute der Metallzaun samt Thujenhecke ihr Revier markiert. Ein Schengener Abkommen für die Arber-/Zugspitzstraße in XY? Undenkbar. Hier latscht niemand durch! So hockt jeder in seinem Ministaat und brutzelt auf seinem eigenen Weber-Grill, wobei die Grundstücksflächen inzwischen von Handtuch- auf Geschirrtuchgröße geschrumpft sind.

Trotzdem geben Familien immer noch eine halbe Million Euro und mehr für den gebauten Traum aus, der auf Vater, Mutter, zwei Kinder und zwei Autos zugeschnitten ist. Die Scheidungsquote liegt bei 40 Prozent; Paare trennen sich im Durchschnitt nach 15 Jahren, was heißt: In der Regel ist das Haus noch nicht abbezahlt, wenn alles vorbei ist. Dann muss es entweder verkauft werden oder einer alleine stottert den Kredit weiter ab. Und selbst, wenn alles gut geht: Spätestens nach dem Auszug der Kinder sitzen die Eltern zu zweit auf 180 Quadratmeter Wohnfläche.

Warum tut man sich das an? In anderen Ländern gibt es inzwischen modulare Eigenheime, die man bei Bedarf vergrößern und verkleinern kann. Firmen entwickeln auch in Deutschland Mini-Häuser, die energie- und wasserautark sind und sogar versetzt werden können. Das klingt skurril, doch für viele Menschen (sogar für Paare) wären solche "Tiny-Houses" eine Alternative.

In Bayern hinkt die Baugesetzgebung aber noch den Veränderungen hinterher, sie verhindert experimentelle Formen des Zusammenlebens. Hier sind Poroton-Burgen die Norm, die beim Bau, beim Wohnen und beim Abreißen Unmengen an Energie verschlingen. Die Ehen werden zwar in Minihaus-Siedlungen auch nicht länger halten, dafür aber sind die Trennungen einfacher: Man bestellt den Tieflader und sucht dann halt einen anderen Stellplatz.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4626837
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 05.10.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.