Süddeutsche Zeitung

Barbara Stamm wird 75:Landesmutter, Stimmenkönigin, Frauenförderin

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Die frühere Landtagspräsidentin Barbara Stamm feiert ihren 75. Geburtstag und nennt dies "schlicht und einfach ein Geschenk".

Von Wolfgang Wittl, München

Sicher, ein paar Leute werden an diesem Dienstag vorbeischauen bei Barbara Stamm, wenn sie ihren 75. Geburtstag feiert. Vor fünf Jahren kamen 500 Gäste zum Fest, diesmal soll es ruhiger werden. Spätestens der Nachmittag gehört der Familie. Ob nun der früheren Landtagspräsidentin, der Sozialministerin a.D., der ehemaligen stellvertretenden CSU-Chefin, der Würzburger Ehrenbürgerin oder der Vorsitzenden der Lebenshilfe: Aus welcher Verbundenheit die Gäste auch gratulieren wollen - die meisten werden sich gedulden müssen.

Die Titel, die sie in mehr als vier Jahrzehnten Spitzenpolitik gesammelt hat, sprechen für sich: "Landesmutter", "soziales Gewissen der CSU", sogar "Patrona Bavariae" wurde sie mit einer Selbstverständlichkeit genannt, als wäre es nie anders gewesen. Der Bayerische Rundfunk hat ihr zum Geburtstag einen Film in der Reihe "Lebenslinien" gewidmet. Er erzählt eine jener Aufsteigergeschichten, die diese CSU-Generation kennzeichnen. Auch Erwin Huber oder Horst Seehofer haben es aus kleinsten Verhältnissen weit nach oben gebracht. Barbara Stamm hatte es als Frau gewiss noch schwerer.

Geboren als Tochter einer gehörlosen Frau, den Vater hat sie nie kennengelernt, wächst Stamm die ersten acht Jahre in einer Pflegefamilie auf. Es ist eine Zeit der Geborgenheit, bis ihre leibliche Mutter, eine ihr damals fremde Person, sie zu sich nimmt. Stamm pendelt zwischen Mutter und Kinderheim. Diese schwierige Phase ist der Grund, warum das "S" in der Christlich-Sozialen Union für sie immer besondere Bedeutung haben wird. Stamm wird Erzieherin, lernt ihren Mann Ludwig kennen, bekommt drei Kinder. Ihr Ehemann ermuntert sie, der CSU beizutreten. 1972 wird sie in den Würzburger Stadtrat gewählt, vier Jahre später rückt sie in den Landtag nach. Fünf Jahre ist sie Vizepräsidentin, zehn Jahre steht sie als erste Frau an der Spitze des Parlaments. "Ich darf Ihnen sagen, dass dies nicht in meiner Geburtsurkunde gestanden hat", ruft sie den Abgeordneten zum Abschied 2018 zu.

Ihr großer Traum sei es gewesen, Oberbürgermeisterin in ihrer Heimatstadt zu werden, erzählt Stamm. Verhindert hat ihn ein Mann, der mit ihr in den Stadtrat eingezogen war. Als die Würzburger CSU für die Kommunalwahl 1990 Stamm aufstellt und nicht Jürgen Weber, tritt der mit einer eigenen Liste an. Und gewinnt.

Für Bayern, sagt Weber in dem Film, sei Stamms Niederlage ein Glücksfall gewesen. Bei der Premiere kommt es zu versöhnlichen Szenen zwischen den einstigen Rivalen. Der Gefühlsmensch Stamm ist empathisch und ausgleichend, wie man es von Politikern kaum kennt. Sie kann aber auch konsequent und unerbittlich sein. Dass Edmund Stoiber seine stellvertretende Ministerpräsidentin Stamm in der BSE-Krise 2001 von der Regierungsbank schubste, hat sie ihm nie verziehen. Auch die bösen Tuscheleien in der CSU über ihre Gesundheit vor der Wahl zur Landtagspräsidentin 2008 hat sie nicht vergessen. Stamm hatte Krebs, im vorigen Jahr kehrte er zurück. "Man hat seine Wehwehchen", sagt sie, aber im Moment gehe es ihr wirklich wieder gut.

Beim CSU-Parteitag hielt Stamm ein Plädoyer für Frauenförderung. "Ich bin auch keine begeisterte Quotenanhängerin", aber jetzt brauche es ein Signal, sonst bewege sich nichts. Sie weiß aus Erfahrung, wie schwer sich die CSU mit diesem Thema tut. Zehn Mal wurde Stamm in den Landtag gewählt, nie über ein Direktmandat. 194 803 Stimmen vereinte sie bei der Wahl 2018 als unterfränkische Listenführerin auf sich - auf die Einwohnerzahl umgerechnet das beste Ergebnis in Bayern. Dass Markus Söder Ministerpräsident geblieben ist, hat er auch ihr zu verdanken.

Söder wird ihr am Sonntag die Ehre geben, wenn Stamm ihre Feier mit einem Bürgerempfang nachholt. Der Kampf gegen Horst Seehofer gehört für sie nicht zu den ruhmreichsten Episoden der CSU. Es gefällt ihr aber, wie Söder das Amt inzwischen ausfüllt. "Wir müssen in den Herzen der Menschen sein, das ist das A und O." Und sie selbst, ein Blick auf ihre 75 Jahre? "Ich war nicht immer die Bequeme", sagt Barbara Stamm. Dass sie dieses Alter so erleben dürfe, sei "schlicht und einfach ein Geschenk".

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Quelle:
SZ vom 29.10.2019
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