Süddeutsche Zeitung

Geschichte:Das Gemetzel von Aidenbach

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Während die Bauern gerade landesweit demonstrieren, gedenken die Einwohner des niederbayerischen Marktfleckens besonders des Bauernaufstands von 1706. 

Von Hans Kratzer

Als die Traktoren der demonstrierenden Bauern am Montagabend wie eine Kolonne von Armeefahrzeugen nach Hause rollten, setzte sich auf dem Marktplatz von Aidenbach (Kreis Passau) ein Fackelzug in Bewegung, der ebenfalls an einen Bauernaufstand erinnerte. Nur, dass der dramatischer verlief als die aktuellen Kundgebungen, immerhin kamen dabei Tausende ums Leben. Mehr als 300 Jahre sind seitdem ins Land gegangen, aber die Menschen in Aidenbach sind heute noch von dem Gemetzel im Innersten berührt. Deshalb marschieren sie alljährlich am 8. Januar zum Schlachtendenkmal Handlberg hinauf, um der Geschehnisse von 1706 zu gedenken.

So verknüpften sich am Montag zwei existenzielle Ereignisse, auch wenn sie zeitlich weit auseinanderliegen. Oft haben die Bauern ihr Land in der Not verteidigt und ihr Leben dafür riskiert. So etwas prägt über Generationen hinweg das kollektive Gedächtnis. Das sollte jeder wissen, der sich mit diesem Berufsstand anlegt. Bayern ist kein reines Bauernland mehr, aber sein Erbgut ist wie eh und je bäuerlich strukturiert.

Nach den Erbfolgekriegen begann für Bayern eine zehnjährige Besatzungszeit, in der die Österreicher die Menschen dermaßen drangsalierten, dass die Bauern anno 1706 den Aufstand wagten. "Lieber bairisch sterben als kaiserlich verderben", riefen die deren Anführer.

Beim Fackelzug am Montag war die Pein von damals förmlich zu spüren. Böllerschüsse markierten den Donner der Kanonen, dazu das Barmen der Kirchenglocken und die Schreie der Männer des Festspielvereins, die auf dem Weg zum Handlberg kurze Szenen darboten. Alle zwei Jahre wird im Juli in Aidenbach die Schlacht von 1706 nachgespielt. Dieses Drama ist nur an einer Stelle lustig, wenn die Akteure nämlich in der lauen Sommernacht am Lagerfeuer klagen: "Mei, aber heit iss koid!"

An diesem Montag war es tatsächlich eisig kalt. Der Schneewind wachelte über die Anhöhe, als Bürgermeister Robert Grabler an das Gemetzel von Aidenbach, aber auch an die heutigen Kriegsnöte erinnerte.

Tausende tote Bauern und Soldaten lagen 1706 auf den Feldern rund um Aidenbach. Immer noch kommen beim Pflügen deren Überreste ans Licht. Umso froher waren die Teilnehmer des Fackelzugs, als sie sich danach durchgefroren im Wirtshaus aufwärmen konnten. Nur ein Bub machte sich an der Hand seiner Mama noch schwere Gedanken: "Was dean man denn, wenn uns die Österreicher wieder ogreifan?"

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