Süddeutsche Zeitung

Bayerischer Innenminister Herrmann beim G-7-Gipfel:Alarmstufe H

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Bayerns Innenminister Joachim Herrmann möchte der Welt zeigen, wie gut die bayerische Polizei arbeitet. Beim Kampf gegen vermeintliche Chaoten schießt er aber schon mal übers Ziel hinaus.

Von Wolfgang Wittl, Garmisch-Partenkirchen

Fesche Frauen im Dirndl, kernige Männer in Lederhosen, alle denkbaren Rettungskräfte, Uniformierte hoch zu Ross: So hat man sich das vorzustellen, wenn der bayerische Innenminister kurz vor dem G-7-Gipfel zu einer "Lage-Einschätzung" eintrifft. Joachim Herrmann (CSU) streichelt ein paar Pferde, parliert mit Polizisten, dann gibt er seine sicherheitspolitische Sicht der Dinge wieder. Hinter ihm erhebt sich die Alpspitze, daneben fährt ein Bauer Heu ein, die Kameras halten voll drauf. Es sind schöne Bilder voller Harmonie, die am Freitag aus Garmisch-Partenkirchen abgesetzt werden. Und sie passen nur wenig zu dem, was in den vergangenen Wochen aus Herrmanns Mund zu hören war.

Seit fast acht Jahren ist Herrmann, 58, bayerischer Innenminister. Der G-7-Gipfel von Elmau stellt ihn vor seine größte Bewährungsprobe. "Es ist ein Einsatz, wie es ihn in Bayern noch nicht gegeben hat", sagt der Minister. Die ganze Welt schaut hin - und Herrmann ist dafür verantwortlich, dass das Treffen der sieben Staats- und Regierungschefs geordnet über die Bühne geht. Mehr als 24 000 Sicherheitskräfte wurden ins Werdenfelser Land beordert, das sind fast so viele, wie Garmisch-Partenkirchen Einwohner hat. Die 17 000 Landespolizisten fallen in Herrmanns Zuständigkeit, 10 000 davon kommen aus dem Freistaat.

Wer Innenminister ist, kommt auch als Regierungschef infrage

Das Amt des Innenministers zählt traditionell zu den wichtigsten in Bayern. Wer dieses Ressort führt, kommt automatisch als Regierungschef infrage. Vier Innenminister schafften den Sprung an die Spitze der Staatskanzlei: der SPD-Mann Wilhelm Hoegner, Alfons Goppel sowie Herrmanns unmittelbare Vorgänger Edmund Stoiber und Günther Beckstein (alle CSU). Über so eine Machtfülle wie Herrmann verfügte jedoch keiner von ihnen im Ministeramt: 2013 wurde das Ressort noch einmal erweitert, es heißt jetzt "Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr". Damit ist Herrmann nicht nur der Herr über mehr als 40 000 Polizisten und Verfassungsschützer im Freistaat, sondern auch Chef sämtlicher Verwaltungsbehörden sowie Straßen- und Sportminister.

So konsequent wie diesmal schöpfte das Innenministerium seinen Einfluss allerdings wohl selten aus. Ein Bürgermeister aus der Region berichtete, er und seine Kollegen seien vom Landratsamt Weilheim-Schongau aufgefordert worden, Landwirte daran zu hindern, den Gipfelgegnern Grundstücke zum Campen zu überlassen. Falls die Bauern nicht folgten, sollten sie öffentlich geächtet werden. Die Anweisung soll direkt vom Innenministerium gekommen sein. Hermann machte in den eineinhalbjährigen Gipfelvorbereitungen nie ein Geheimnis daraus, was er von einem Camp hält. "Gewalttätige Krawallmacher" seien nicht erwünscht. Natürlich gebe es auch in Bayern ein Demonstrationsrecht, doch "Chaoten" hätten "kein Recht auf Camping".

"Überragende Bedeutung" der Meinungsfreiheit

Am Dienstag machte das Verwaltungsgericht München in unerwarteter Deutlichkeit klar, was es von dieser Rechtsauffassung hält: Nur im "absoluten Ausnahmefall" dürften Behörden mit einem "repressiven Totalverbot" reagieren. Das Camp sei zuzulassen, inklusive Zufahrtsweg für den Aufbau, verfügte das Gericht und verwies auf die "überragende Bedeutung" der Meinungs- und Demonstrationsfreiheit. So ein Urteil hatte es in Bayern noch nicht gegeben. Der Markt Garmisch-Partenkirchen hatte ein Camp-Verbot unter anderem mit Hochwassergefahr begründet.

Beobachter werten den Richterbeschluss als krachende Niederlage für den Innenminister, dem es offenbar ein persönliches Anliegen war, ein Camp mit allen Mitteln zu verhindern. Ob auch Herrmann das so sieht? "Wir respektieren das Urteil", sagt der Minister knapp. Bislang waren seine Befürchtungen unbegründet: Etwa 600 Camper hatten ihre 200 Zelte bis Freitagmittag nahe der Loisach aufgeschlagen, bis zu 1000 dürfen sich laut Gericht dort niederlassen. Die Bilanz der ersten drei Tage: alles friedlich.

Bayern hat stets die Nummer eins zu sein

Die Sorge, die Situation um den Gipfel könne eskalieren, treibt die CSU um wie keine andere Partei: Sie resultiert zum einen aus ihrem seit Jahrzehnten verankerten Sicherheitsbedürfnis und zum anderen aus dem Anspruch, dass Bayern stets die Nummer eins zu sein habe - egal auf welchem Gebiet. Die Messlatte des Musterschülers hat die CSU selbst besonders hoch gelegt: Kurz nach der missglückten Rettungsaktion beim tödlichen Geiseldrama von Gladbeck 1988 ließ das Innenministerium unter Führung von Gustl Lang und Peter Gauweiler die Tragödie von bayerischen Sicherheitskräften noch einmal nachstellen - und natürlich vorbildlich lösen.

Die Botschaft an den Rest Deutschlands: Seht her, so wird das gemacht. 1992 verblüffte Ministerpräsident Max Streibl mit dem Spruch, es sei nun einmal bayerische Art, hart hinzulangen. Damit rechtfertigte er das Vorgehen der Polizei, die beim Weltwirtschaftsgipfel in München 500 Protestierer eingekesselt und eingesperrt hatte. Angesichts solcher Geschichten wäre es natürlich besonders peinlich, brächten ein paar Demonstranten jetzt die Gipfel-Regie für Elmau ins Wanken.

Kritiker küren ihn zum "Abschiebeminister"

Herrmann ist der Mann, der das sicherheitspolitische Terrain der CSU in der Gegenwart absteckt. Er ist ihr Law-and-Order-Mann. Im Fasching verkleidet er sich seit Jahren als Schwarzer Sheriff. Dass er wegen seiner Einfallslosigkeit Hohn und Spott erntet, ficht ihn nicht an. Auch nicht die Frage, ob das Kostüm überhaupt noch Verkleidung sei. Der gelernte Jurist setzt auf Recht und Gesetz, wie er sagt, und im Zweifel reizt er seinen Spielraum bis zur Schmerzgrenze aus. Wegen seines rigorosen Umgangs mit Asylbewerbern kürten ihn Kritiker zum "Abschiebeminister". Das hinderte ihn nicht daran, auch in diesem Jahr Hunderte Asylbewerber aus Bayern entfernen zu lassen. Dafür legt er sich auch mal mit Ministerkollegen an.

In seinen Anfängen im Landtag, dem er seit 1994 angehört, wurde Herrmann ob seiner gemächlichen Art noch als "Balu" gehänselt. Das ist lange her. Heute schätzt ihn die Partei für seine Standhaftigkeit. Für Ministerpräsident Horst Seehofer zählt der Franke aus Erlangen zu den Leistungsträgern im Kabinett, Herrmann ist einer der wenigen, denen er Fernsehauftritte vor einem bundesweiten Publikum zutraut. Wenn der Regierungschef ihn dennoch brüskiert - wie beim Ausbau der autobahnähnlichen B 15 neu - ist von Herrmann öffentlich kein böses Wort zu vernehmen. Andererseits schreckt er aber auch nicht davor zurück, einmal eine andere Meinung zu vertreten als der CSU-Chef.

Vor allem konservative CSU-Mitglieder sehen in dem katholischen Franken den idealen Kompromisskandidaten, sollten sich Ilse Aigner und Markus Söder im Gerangel um Seehofers Nachfolge neutralisieren. Andere denken, Herrmann sei zwar ein guter Verwalter, aber kein Gestalter, schon gar kein charismatischer. Zuerst einmal muss er der Welt zeigen, dass Deutschland einen Gipfel besser abwickeln kann als 2007 in Heiligendamm.

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Quelle:
SZ vom 06.06.2015
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