Süddeutsche Zeitung

Kampagne:Wie die Bahn mehr Menschen in Regionalzüge locken will

Lesezeit: 4 min

Von Marco Völklein

Friedemann Schmitter und seine Frau Elli sind zufrieden. Gerade hat die Regionalbahn in Richtung Weilheim den Münchner Hauptbahnhof verlassen, da beginnt bei den beiden Endfünfzigern schon das zweite Frühstück. Brezn, Obatzda, ein paar Wiener Würstchen - all das haben sie auf dem Tisch vor sich ausgebreitet. "In die Berge", sagt Elli Schmitter und beißt ein Stück vom Würstchen ab, "in die Berge fahren wir fast nur noch mit der Bahn." Den Stau auf der Autobahn, das Gerangel um die letzten freien Parkplätze vor der Talstation - "darauf können wir verzichten", sagt sie. Ihr Mann nickt und sagt: "Mit der Bahn ist's deutlich bequemer."

Wenn es nach Antonia von Bassewitz geht, dann könnten sich gerne mehr Menschen an den Schmitters orientieren. Die Marketingleiterin bei DB Regio Bayern, der bayerischen Regionalverkehrstochter der Deutschen Bahn (DB), hat sich vorgenommen, in naher Zukunft mehr Menschen in die roten Regionalzüge des Konzerns zu locken - und zwar nicht nur die Berufspendler, die jeden Tag zur Arbeit müssen, sondern auch all jene, die ihre Freizeit zum Beispiel beim Wandern in den Bergen oder beim Baden an einem der bayerischen Seen verbringen. Je nachdem, welche Strecke man betrachte, sei da noch "eine ganze Menge an Potenzial" zu heben, findet von Bassewitz.

Deshalb hat DB Regio bereits vor einiger Zeit eine spezielle Internetseite eingerichtet, über die den Nutzern unter anderem diverse Ausflugstipps in ganz Bayern unterbreitet werden sollen. Das Ganze gibt es außerdem als App fürs Smartphone, damit sich die Nutzer zum Beispiel sonntagmorgens auch bequem am Frühstückstisch inspirieren lassen können - und dann, so hofft es zumindest die Marketingleiterin, möglichst ihre Sachen packen, zum Bahnhof eilen und das gerade entdeckte Ausflugsziel ansteuern. Die Seite zeigt auf Wunsch auch, welchen Fahrschein man dann beispielsweise für den Ausflug mit der vierköpfigen Familie am besten kauft. Der eigentliche Fahrschein aber, das räumt von Bassewitz ein, kann noch nicht als Handy-Ticket gekauft werden. Das muss entweder über den Computer als Online-Ticket geschehen (der Fahrschein muss dann ausgedruckt werden), oder auf den klassischen Wegen: am Automaten oder im Reisezentrum der DB am Bahnhof.

Ziel sei es, sagt von Bassewitz, die Hin- und Rückreise zum eigentlichen Ausflugsziel so einfach und bequem wie möglich zu gestalten, die Bahnfahrt also "möglichst niederschwellig" zu organisieren, wie sie es formuliert - und so Menschen, die bislang bei ihrer Reiseplanung stets und in allererster Linie an das Auto dachten und denken, auch mal auf die mögliche Alternative Schiene aufmerksam zu machen.

Ähnliche Ziele verfolgt die Bayerische Eisenbahngesellschaft (BEG), die im Auftrag des Freistaats festlegt, wo überall und wie oft Regionalzüge und S-Bahnen in Bayern fahren. Bei Befragungen gab etwa jeder dritte Fahrgast an, im Freizeitverkehr unterwegs zu sein. So wirbt die BEG unter anderem im Netz sowie mit Plakaten und Flyern für das "Bahnland Bayern". Besonders beliebt sind, klar, die Strecken der Bayerischen Oberlandbahn (BOB) nach Tegernsee, Lenggries und Bayrischzell; aber auch die von der DB befahrenen Strecken ins Werdenfels und ins Allgäu. Aktuell überarbeite man gerade den Markenauftritt und das Marketingkonzept, sagt Wolfgang Oeser von der BEG. Potenzial sieht er noch im Bayerischen Wald, beispielsweise auf der Waldbahn nach Zwiesel und Bayerisch Eisenstein, oder auf der grenzüberschreitenden Strecke von Hof nach Františkovy Lázně (Franzensbad) und Cheb (Eger) in Tschechien. Oeser: "Dort gibt es in der Regel noch genügend freie Plätze."

Nicht mehr genügend freie Plätze finden hingegen Passagiere insbesondere auf den beliebten Strecken ins Oberland oder ins Werdenfels, kritisieren Fahrgastvertreter. "An schönen Tagen ist da jetzt schon immer ziemlich viel los", sagt Norbert Moy vom Fahrgastverband Pro Bahn. Deshalb begrüßt er zwar den Ansatz von DB und BEG, den Freizeitverkehr stärker ins Bewusstsein rücken zu wollen. Sinnvoll wäre es aber aus seiner Sicht, bislang weniger stark frequentierte Strecken hervorzuheben - als Beispiel nennt er die Pfaffenwinkel-Bahn in Richtung Schongau oder die Ammersee-Bahn, die von Augsburg aus westlich des Ammersees nach Weilheim führt. Das Problem ist nur: Beide Strecken werden vom DB-Konkurrenten Bayerische Regiobahn (BRB) bedient. Daher werden die DB-Werber vermutlich einen Teufel tun und in ihrer App Reklame für Ausflugsziele entlang der BRB-Trassen machen.

Ein weiteres "Reizthema", wie Moy es nennt, sind die vielen Radfahrer, die an sonnenreichen Tagen zuhauf in die Züge drängen. "Da hat jede Bahn mit zu kämpfen." Die Multifunktionsbereiche in den Zügen, wo neben Rollstühlen und Kinderwägen auch Fahrräder untergebracht werden sollen, reichen oft nicht aus - zumal die Züge ja in der Regel so konzipiert sind, dass sie den Pendlern unter der Woche möglichst viele Sitzplätze bieten sollen. Und an sonnigen Tagen einen Gepäckwagen anzuhängen, das ging früher mal, als die Bahn noch mit Lok-bespannten Zügen fuhr. Mittlerweile aber setzen die BEG und die Betreiber aus Gründen der Wirtschaftlichkeit meist auf Triebzüge, und die lassen sich in der Regel kaum verstärken. "Vielleicht", sagt Moy, "sollte man mal Studenten beauftragen, sich Gedanken darüber zu machen, wie eine flexible Inneneinrichtung aussehen könnte." Die müsste es ermöglichen, dass eine Sitzlandschaft mit zahlreichen Plätzen für Pendler mit nur wenigen Handgriffen in ein großräumiges Mehrzweckabteil umgestaltet werden könnte.

Eine Idee, der wohl auch Peter Dill vom Deutschen Alpenverein (DAV) zustimmen würde. Auch er kritisiert die unzureichenden Möglichkeiten für die Fahrradmitnahme: "Wer zurückbleiben und eine Stunde auf die nächste Bahn warten muss, fährt beim nächsten Mal wieder mit dem Auto", sagt der Vize-Vorsitzende der DAV-Sektion München. Aber auch für Wanderer und Bergsteiger könnten die Bahn- und Busanbieter mehr machen, findet Dill. So gebe es aktuell nur zu wenigen Ausgangspunkten Zug- und Busverbindungen, Früh- und Spätfahrten würden kaum angeboten, "passende Anschlüsse von Bussen an die Züge sind selten". Wer die Verkehrsströme, auch die in der Freizeit und am Wochenende, hin zu klimafreundlicheren Systemen lenken wolle, der müsse in solche Angebote investieren, notfalls auch mit Steuermitteln. Denn grundsätzlich, findet der DAV-Funktionär, könnte die Anreise mit Bussen und Bahnen dazu dienen, dass ein schöner Ausflug nicht erst am Parkplatz beginnt, sondern "schon beim Weggang zu Hause".

Ähnlich sehen es die Eheleute Elli und Friedemann Schmitter im Regionalzug in Richtung Weilheim. Natürlich gehe es an schönen Tagen in den Zügen ziemlich eng zu, räumt Friedemann Schmitter ein. Sein Tipp: "Am Sonntag in der Früh einfach mal etwas früher aus dem Bett." Und dann rechtzeitig das Haus verlassen. "Wer einen schönen Sitzplatz haben möchte, der sollte schon so etwa 20 Minuten vor Abfahrt am Zug sein."

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Quelle:
SZ vom 31.05.2019
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