Süddeutsche Zeitung

Bad Wiessee:Die Zukunft riecht streng

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Mit dem neuen Jodschwefelbad will die Gemeinde am Tegernsee an bessere Zeiten anknüpfen.

Von Marco Mach, Bad Wiessee

Beschwingt, fast tänzelnd kommt Franziska Mattner aus ihrer Badekabine. "Pfundig ist es hier. Einfach pfundig. Schön, hell, grün, luftig", sagt die 80-Jährige und scheint ihre Knieprobleme zumindest für diesen Moment vergessen zu haben. Sie kommt aus Bad Wiessee, sie kannte natürlich das historische Jodschwefelbad gegenüber, zuletzt war sie auch in der Interimslösung im benachbarten Badepark zu Gast. "Aber das hier ist damit nicht zu vergleichen, obwohl das Heilwasser ja dasselbe ist."

Franziska Mattner ist eine der ersten, die das neue Badehaus am Westufer des Tegernsees testen darf. Von Montag an steht es allen offen - wegen des Coronavirus zwei Monate später als geplant. Damit will der Kurort endlich wieder an alte Blütezeiten anknüpfen. Was Mattner als pfundig beschreibt, meint vor allem die Architektur. Tatsächlich ein Hingucker im sonst eher beschaulichen Bad Wiessee mit seinem 19 80er-Jahre-Charme. Von außen erinnert das Badehaus an das neue Münchner Lenbachhaus, nur dass nicht eine Kupfer-Aluminium-Legierung, sondern Holz aus regionaler Weißtanne verbaut ist, 1740 Lamellen an der Zahl. Auch innen dominiert das helle Holz, auch wegen der vier lichtdurchfluteten Atrien.

Hinter der modernen, reduzierten Architektur steht der Südtiroler Matteo Thun. "Das Jodschwefelbad ist wegen seiner Tradition besonders interessant. Das neue Badehaus ist eine Hommage an die Heilkraft der Quellen von Bad Wiessee und an die lokale Holzbautradition", erklärt er. Seine Architektur, die lokalen natürlichen Materialien wie Holz und Naturstein sollten zusammen mit Licht und Wasser ein ganzheitliches Erlebnis für Körper und Seele schaffen. Testen will Thun das Ganze unbedingt selbst: "Ein Augenbad zuerst, anschließend ein Vollbad - für Haut und Seele."

Statt einst 125 stehen nun noch 14 Spezialwannen für Bäder zur Verfügung, eine Stunde kostet 40 Euro. Die Wannen wurden ehemals für das Jodschwefelbad entwickelt, jetzt poliert und aufgepeppt. Das Besondere: Sie werden von unten mit dem Heilwasser befüllt. "Wenn Schwefel mit Sauerstoff in Verbindung kommt, verliert er seine Wirkung", erklärt Geschäftsführerin Renate Zinser. Dazu bietet ihr Bad Inhalationen, Augenbäder und - einzigartig in Deutschland - zwei Sprühbäder an, in denen der Gast aus 36 Düsen besprüht wird. Dass die Gemeinde aus Kostengründen auf einen zusätzlichen Spa-Bereich oder ein Fitnessstudio verzichtet hat, steht dem Haus jetzt gut zu Gesicht.

Es riecht streng in den Räumen, Jodschwefel eben, aber nach einigen Minuten hat man sich daran gewöhnt. Deutschlands stärkstes Jodschwefelwasser, 1909 vom Holländer Adrian Stoop entdeckt und seit 1910 immer mehr genutzt, kommt aus 700 Meter Tiefe aus zwei Quellen auf der anderen Straßenseite - der Adrianus- und der Königin-Wilhelmina-Quelle. Es habe, sagt Zinser, eine belebende Wirkung, stärke das Immunsystem, sei gut für die Haut, bei Herz-Kreislauf-Beschwerden und wirke entzündungshemmend bei Problemen mit dem Bewegungsapparat. "Das Heilwasser wird immer gesellschaftsfähiger", sagt Zinser. Auch wenn die Krankenkassen schon lange nichts mehr zahlen, werde das Publikum immer jünger. Noch in den Jahren 2013 und 2014 habe der Altersdurchschnitt bei 70 Jahren gelegen, mittlerweile bei 50 bis 60 Jahren. Zuletzt kamen 20 000 Gäste im Jahr, vor allem aus Deutschland. Das neue Ambiente soll zu einer Versechsfachung führen. Allein diese Zahl zeigt die zentrale Bedeutung des Badehauses für die 5000-Einwohner-Kommune.

Das 7,6 Millionen Euro teure Badehaus ist das erste vollendete Großprojekt von vielen, mit denen sich Bad Wiessee zukunftsfähig machen will. Gleich nebenan ist der Badepark, das einzige Hallenbad im Tegernseer Tal, in die Jahre gekommen; er soll für 30 Millionen Euro abgerissen und durch einen Neubau ersetzt werden, legte der Gemeinderat kürzlich fest. Gegenüber wurde das historische Jodschwefelbad aus Wiessees Blütezeit bis auf die denkmalgeschützte Wandelhalle abgerissen. Die Schweizer Sports Medicine Excellence Group (SME) plant dort eine Sportklinik mit Hotel zu errichten. Doch auf der riesigen Brachfläche herrscht seit nunmehr einem Jahr Baustopp. Aus Gründen des Denkmalschutzes und der Wirtschaftlichkeit, wie es hieß. Noch immer ein Schock für die Gemeinde. Wann es weitergeht, ist offen. Dass es überhaupt weitergeht, davon ist Wiessees neuer Bürgermeister Robert Kühn (SPD) nach seinem ersten Gespräch mit dem Investor überzeugt. Umplanungen seien im Gange.

Positiver scheint die Entwicklung momentan am Seeufer zu verlaufen, auf dem Areal des ehemaligen Hotels Lederer. Das einstmals führende Haus am Platz ist mittlerweile abgerissen, die alte Spielbank daneben schon länger, genau wie das benachbarte alte Haus des Gastes. Dort hat man sich nach langem Hin und Her endlich auf ein Konzept geeinigt. Die Familie Strüngmann plant ein 5-Sterne-plus-Hotel mit 90 Zimmern, Spa, öffentlichem Biergarten, Apartments und Wohngebäude in lockerer Bebauung. Baubeginn könnte 2021, Eröffnung 2024 sein.

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Quelle:
SZ vom 15.06.2020
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